
Ich mag’s nicht, wenn jemand in meiner Suppe schwimmt. “Hallo!”, rufe ich, “könnten Sie bitte wieder herauskommen?” Obwohl ich mir unsicher bin, ob ich die Suppe überhaupt noch essen will, nachdem diese Frau im rosa Badeanzug sie durchquert hat. Sie hört auch nicht auf mich. Am Tellerrand angelangt, vollführt sie eine elegante Wende, wie ich sie nie hinbekommen habe, stößt sich ab und schwimmt zügig durch die Brühe, wobei die Grießnockerl, wie gutmütige Berge, ihr schaukelnd ausweichen.
Ich rufe den Kellner. “Jetzt sehen Sie sich das an!” Er schaut in meinen Teller: “Oh, das ist ja”, er verzieht das Gesicht, und als ich mir schon sicher bin, dass er so etwas wie “ärgerlich” sagen wird, sagt er stattdessen: “interessant.” Interessant ist es, das muss ich zugeben. Die Frau krault jetzt. Jedes Mal wenn sie den Arm aus der Suppe hebt, um Schwung zu holen für den nächsten Zug, bespritzt sie die Nockerl, die sich wie eine Bergkette an den Rand drängen, um ihr Platz zu machen.
“Ich möchte eine neue Suppe”, sage ich zum Kellner. “Ja gerne, aber”, er wiegt den Kopf hin und her, “wenn wir noch ein bisschen warten, dann ist sie vielleicht fertig.” “Bis dahin ist die Suppe kalt.” Wahrscheinlich ist sie jetzt schon nicht mehr besonders warm, denke ich. Wer würde schon in heißer Suppe schwimmen? “Immer im Frühling”, seufzt der Kellner, “da wollen die Leute auf einmal trainieren. Und die Gebühren für das Schwimmbad sind ja exorbitant gestiegen.”
“Das ist bedauerlich, aber ich möchte trotzdem eine Suppe mit ohne was darin.” “Sie wollten doch Grießnockerl?” “Ja, ja. Die Nockerl sind auch okay.” Obwohl ich mir da mittlerweile auch unsicher bin. Mir scheint es, als hätten sie eine Eigenbewegung. “Wahrscheinlich hat sie sich zwischen den Nockerln versteckt”, überlegt der Kellner. “Als ich die Suppe serviert habe, habe ich nichts Ungewöhnliches bemerkt.” “Ich auch nicht”, gebe ich zu, aber das ist ein Fehler. “Das wird’s sein! Sie ist aus Ihrer Jackentasche gekommen!”
Meine Jacke habe ich über die Stuhllehne gehängt, und tatsächlich steht der Reißverschluss der Brusttasche offen, was vorher nicht so war. Ich bin irritiert. Als ich in die Tasche hinein fasse, finde ich eine winzige Badekappe, ebenfalls rosa. Der Kellner nickt zufrieden. “Aber, ich kenne diese Frau überhaupt nicht!”, protestiere ich. “Seien Sie froh, dass sie so klein ist. Ich hatte mal einen Mann in meinem Schrank wohnen, der war zwei Meter groß.”
“Aber wie ist so etwas möglich!”, rief ich. “Es war ein Hochschrank. Ich habe ihn danach verkauft. Seither nutze ich nur noch Kommoden. Ich hab mich so erschrocken, als ich diesen Riesen bemerkte. Dabei wollte ich nur mal gründlich aufräumen, weil meine Freundin behauptet hat, in meinem Schrank würde es komisch riechen. Drei Jahre hat er da drin gewohnt, stellen Sie sich das mal vor!” “Gruselig.” “Aber er war sehr dezent. Ich habe nichts gemerkt. Nur manchmal hab ich mich gewundert, dass die Zahnpasta immer so schnell alle ist.”
In der Suppe platscht es, die Frau hascht nach einem flachen Nockerl, das sich windet und ihr entflutscht, aber sie setzt ihm nach und erklimmt es, streckt sich darauf aus wie auf einer Liege und schließt die Augen. Es sieht gemütlich aus. Der Kellner kommt mit einer Spaghettizange, fischt Nockerl samt schlafender Frau gekonnt aus der Suppe und platziert sie in einem Schüsselchen auf dem Tisch, so als ob es eine Nachspeise wäre. “Bitte sehr”, sagt er und deutet auf den Teller. “Mit ohne was, wie gewünscht.” “Äh … Sie hatte ja ihre Badekappe nicht auf”, sage ich, so, als ob das das einzige wäre, was ich zu beanstanden habe. “Bei den kurzen Haaren! Die sind nicht länger als Dill, das merken sie gar nicht.” “Aber-” “Ich muss mich jetzt leider um die anderen Gäste kümmern.”
Er verschwindet durch eine Tür, die ich vorher nicht bemerkt habe, und hinter der sich wahrscheinlich die anderen Gäste befinden, hier im Raum bin ich allein. Mit der Frau, die jetzt einen tiefen Atemzug tut und sich auf die Seite rollt. Mein Magen knurrt. Zögernd nehme ich den Löffel zur Hand. Draußen fliegt ein Schwarm Krähen vorbei, ihr Krächzen klingt, als ob sie lachen würden.