Ich habe eine schöne Wohnung. Problematisch ist nur der Weg dorthin. Das Treppenhaus. Genauer gesagt, eine Tür im Treppenhaus. Auch heute passiert es wieder. Ich bin schon daran vorbei, als die Tür aufgeht. Heraus guckt Frau Beste und fragt: “Ist das ihr T Shirt, was da unten auf der Leine hängt?” “Nein”, sage ich, und damit könnte das Gespräch beendet sein, aber es war erst der Anfang. “Es hängt schon seit drei Wochen da”, sagt sie anklagend.
Ich erkläre langsam und deutlich: “Das ist nicht mein T Shirt.” “Kommen Sie mal mit!” Schon ist sie auf dem Weg in den Keller. Ich bleibe stehen. Das ist nicht mein Problem, sage ich mir und weiß schon, dass es nicht stimmt. Kurze Zeit später stehe ich neben Frau Beste im Wäschekeller und sie hält mir das T Shirt unter die Nase: “Sehen Sie sich das mal genau an!”
Das T Shirt ist grau. Wenn ich mir einer Sache ganz sicher bin, dann der, dass ich mir noch nie in meinem Leben ein graues T‑Shirt gekauft habe. Auch geschenkt würde ich es nicht nehmen. Die Sache ist also eindeutig. Ich sage: “Das ist nicht meins.” Aber ich werde nicht entlassen. “Manche Sachen verlieren ihre Farbe in der Wäsche”, legt mir Frau Beste als Erklärung nahe. “Grauschleier”, sagt sie noch hilfreich. Ich weiß nicht, wie viele Jahre lang ich meine T Shirts ununterbrochen waschen müsste, damit sie so einen Grauschleier bekommen. Außerdem hat das T Shirt kleine Rüschen am Saum. Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann sind es Rüschen an meinen Kleidungsstücken.
Ich schüttle den Kopf. “Alle anderen im Haus habe ich schon befragt”, sagt Frau Beste, “es kann also nur Ihr T‑Shirt sein.” Sie strahlt mich an, weshalb es mir ungerecht vorkommt, dass ich wütend bin. “Es tut mir Leid, sage ich, aber …” Frau Beste unterbricht mich: “Das kann allen mal passieren. Und ich mache es ja gerne. Irgendjemand muss sich um die Ordnung im Haus kümmern. Aber bitte denken Sie daran, die Wäsche nach dem Trocknen gleich abzunehmen. Wir alle brauchen Platz, nicht wahr?”
Als ich wieder nach oben gehe, habe ich das graue T‑Shirt in der Hand. Ich rede mir ein, dass das die beste Lösung war und dass es überhaupt nicht schlimm ist, dieses T‑Shirt jetzt zu haben, aber in Wirklichkeit könnte ich heulen. Warum kann ich mich in so einer einfachen und eindeutigen Angelegenheit nicht durchsetzen?
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Lattenrost
Abends gehe ich gerne durch die Straßen spazieren, und manchmal stoße ich dabei auf einen Sperrmüllhaufen. Das Wort Sperrmüll ist geprägt von seinen Doppelkonsonanten und macht den Eindruck eines Aufpralls von einem widerspenstigen Sperr auf das weiche, etwas melancholische Müll, das von Abscheu belagert ist. Insgesamt wirkt das Wort ungeheuerlich. Und das ist ein Sperrmüllhaufen auch. Etwas, das ens nicht mehr haben möchte, tritt nochmal groß in Erscheinung, gehäuft und öffentlich ausgestellt.
Ich mag Sperrmüllhaufen. Ich habe dort schon einige Möbelstücke für meine Wohnung gefunden. Jetzt bin ich ganz gut eingerichtet, und brauche nichts mehr. Trotzdem steuere ich jeden Sperrmüllhaufen voller Vorfreude an und betrachte die Dinge, deren Schicksal es ist, am nächsten Morgen in der Sperrmüllpresse zerquetscht zu werden, wenn sie nicht im Verlauf der Nacht doch noch gerettet werden.
Auch heute Abend treffe ich auf einen Sperrmüllhaufen und beginne sogleich, ihn zu durchsuchen, verschiedene Dinge frei zu legen, heraus zu zerren und von allen Seiten zu betrachten, als ich durch den Ruf: “Auf Anhieb!” unterbrochen werde. Ich hebe den Kopf. “Sie ja, genau Sie meine ich!” “Wie bitte?” Verwirrt sehe ich mich um. Aus einem Fenster im Erdgeschoss lehnt sich ein Mann, ich habe ihn offensichtlich verärgert.
“Hab ich Sie erwischt!”, schreit er. “Wobei? Das ist doch ein Sperrmüllhaufen, oder?” “Ja, aber nicht Ihrer!” “Ich will auch gar nichts davon!” Ich schiebe den Lattenrost, den ich gerade inspiziert hatte, wieder hinter den Schrank, aber jetzt wird er erst richtig wütend. Er spuckt mehrere Schimpfwörter aus und seine Stimme überschlägt sich, sodass ich Mühe habe, ihn zu verstehen. Ich will schon gehen, aber da schreit er noch lauter. “Nehmen Sie das gefälligst wieder mit!”
“Den Lattenrost? Der stand hier schon.” “Ich zeig Sie an”, schreit er. “Gleich ruf ich die Polizei!” Jetzt erscheint eine Frau am Balkon vom Haus gegenüber: “Was ist denn hier los?” “Der Lattenrost gehört mir nicht”, erkläre ich. “Nehmen Sie ihn ruhig mit”, meint die Frau. “Auf dem Sperrmüll ist doch wie weg geworfen.” “Ich komm jetzt raus!”, droht der Mann.
Dieses Missverständnis lässt sich im Moment wohl nicht aufklären. Ich zerre den Lattenrost aus dem Haufen heraus und schleife ihn hinter mir her, begleitet von Rufen wie “Wird’s bald!” und “Lassen Sie sich hier nie wieder blicken!” Mein Abgang scheint ihn nicht zufrieden zu stellen sondern noch mehr aufzuregen.
Ich bin froh, als ich außer Rufweite bin und stehen bleiben kann, um zu verschnaufen. So hatte ich mir meinen Abendspaziergang nicht vorgestellt. Ich setze mich auf einen Blumenkübel, in dem die roten Tulpen ihre Blüten geschlossen haben, ihre Spitzen zeigen zum Himmel und sehen in der Dämmerung wehrhaft aus. Ich denke daran, dass ich zwei Minuten vor dem Zwischenfall einen Föhn in der Hand hatte. Ich würde lieber mit einem Fön spazieren gehen statt mit einem Lattenrost.
Schreiben wie das Krokant es könnte
Herzlich willkommen zum einjährigen Jubiläum meines Blogs! Weil ich immer wieder gefragt werde, wie ich schreibe, woher meine Ideen kommen und was mir beim Schreiben begegnet, habe ich hier eine Antwort in Gedichtform geschrieben.
Fang mich!
Anfang heißt haschen
Brüten brauen ausprobieren
Bis sich was reckt und dehnt
Ein Absatz glänzt
Und rundet sich
Zum Abstellgleis
Kein Klimmzug kommt
Leere lümmelt in Millionen
Jede Eile wird zu Wolle
Und es kreisen unverhöhlt
Die Fledermäuse der Niederländer
Kolossale Werke an anderen Küsten
Grüßen von Ferne
Mit grünen Zweigen
Jede Zwiebel zweifelt an mir
Über den Auberschienen aber
Soweit das Auge reicht
Preiselbeeren Abflugschneisen
Schwalben schwelgen mir ins Herz
Und ich nehm es in die Hand
In Mulden voller Anemonen
Wohnen hunderte Vokale
Scharren mit den Hennenfüßen
Zur Dynamik der Lamellen
Sukkulenter Konsonanten
Auf dem Eiland der Ideen
Gönnt sich ein Fön den Donnerstag
Flirtet der Kamm mit dem Flattersatz
Wirft sich die Seife in Schale
Ein Techtel mit dem Konjunktiv
Geht selten schief
Plötzlich Klotz
Sperrgut Gedanken
Muster-Haft
Cannelloni Stopf Kommoden
Aus dem Ärmel aus dem Sinn
Am Schlafittchen und dahin