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Vergittertes Fenster, offen, aber mit Schatten und Spiegelung mehrfach vergittert

Eigent­lich brau­che ich kei­ne Geschirr­spül­ma­schi­ne. Aber in der Woh­nung war eine drin, so eine klei­ne, und mit der Zeit habe ich sie benutzt. Als sie kaputt war, hat der Ver­mie­ter eine neue besorgt. Sie sieht toll aus, ein schi­ckes Grün, ein­fa­che Bedien­ele­men­te, lässt sich gut befül­len. Nur: nach zwei Wochen gibt sie den Geist auf, den sie genau genom­men vor­her auch nicht beses­sen hat. “Rufen Sie den Repa­ra­tur­ser­vice an!”, trägt mir der Ver­mie­ter auf.

Von einer unan­ge­neh­men Vor­ah­nung erfüllt, wäh­le ich die ange­ge­be­ne Num­mer. Eine Stim­me fragt mich: “Rufen Sie zum ers­ten Mal bei uns an? Dann drü­cken Sie die Tas­te eins. Oder haben Sie schon ein­mal mit uns tele­fo­niert? Dann drü­cken Sie die Tas­te zwei.” Selt­sa­me Aus­wahl, den­ke ich, aber sofort nach dem Drü­cken der Tas­te eins wer­de ich von einer net­ten Frau begrüßt. Sie hört sich mein Pro­blem an und sagt dann: “Ich schi­cke jeman­den vor­bei. Sind Sie in einer Stun­de noch da?” “In einer Stun­de?”, fra­ge ich ungläu­big. “Ja! Ich bin da.”

Als es nach 50 Minu­ten klin­gelt, kommt nicht der Mon­teur mei­ner Erwar­tun­gen die Trep­pe hoch. Ich muss an die­ser Stel­le zuge­ben, dass ich mir einen Mann vor­ge­stellt habe, in Mon­tur, mit Werk­zeug­kas­ten und Ersatz­tei­len. Es ist aber eine Frau in einem ver­wa­sche­nen Kleid mit einer Stoff­ta­sche in der Hand, auf der das Logo auf­ge­druckt ist, das ich von der Geschirr­spül­ma­schi­ne her ken­ne. “Guten Tag, Fir­ma HR”, stellt die Frau sich vor. “Guten Tag”, stot­te­re ich und ver­su­che, mir mei­ne Über­ra­schung nicht anmer­ken zu las­sen. “Kom­men Sie herein!”

Sie stellt ihre Stoff­ta­sche auf den Stuhl, ent­nimmt ihr eine Küchen­schür­ze, bin­det sie um und fängt an, das Geschirr zu spü­len. “Äh, Ent­schul­di­gung”, sage ich zu ihr, “es ging dar­um, die Geschirr­spül­ma­schi­ne zu repa­rie­ren.” “Kann ich nicht”, ant­wor­tet sie. “Ja, aber …”, murm­le ich, und dann weiß ich nicht wei­ter, und eine Wei­le ist nur Plät­schern zu hören, das Schmat­zen, wenn sich ein gesäu­ber­ter Tel­ler aus dem Was­ser löst und das Kla­cken, mit dem er auf dem metal­le­nen Abtropf­stän­der auf­kommt. “Haben Sie noch was?”, fragt die Frau schließ­lich und hebt ihre sei­fi­ge Hand aus dem schmut­zi­gen Was­ser, um sich mit dem Unter­arm eine Sträh­ne aus dem Gesicht zu wischen.

“Sie müs­sen doch nicht mein Geschirr spü­len!”, sage ich, viel zu spät. “Ich woll­te eine Repa­ra­tur.” “Es gibt nur einen Tech­ni­ker für die Gerä­te. Es wird Mona­te dau­ern, bis er zu Ihnen kommt. Solan­ge wer­de ich Ihr Geschirr spü­len.” Sie hat das Was­ser abge­las­sen und schrubbt jetzt das Spül­be­cken. “Dan­ke, aber das möch­te ich nicht.”

“Wol­len Sie, dass ich Schwie­rig­kei­ten bekom­me? Nein? Also, dann las­sen Sie mich Ihr Geschirr spü­len. Kön­nen Sie bit­te unter­schrei­ben, dass ich den Auf­trag ord­nungs­ge­mäß aus­ge­führt habe?” Sie trock­net sich die Hän­de an der Schür­ze und holt eine Unter­schrif­ten­map­pe aus der Stoff­ta­sche, schlägt die Sei­te mit dem heu­ti­gen Datum auf. Ich kann nur mei­nen Namen erken­nen, alle ande­ren sind abge­deckt. Die Lis­te ist lang. Ich unter­schrei­be, und als sie die Map­pe schließt, sehe ich auf dem Umschlag wie­der das Logo HR, und dar­un­ter in klein: Human Resources.

Mensch­li­che Res­sour­cen also, als Ersatz für Tech­nik. Aber ist das denn erlaubt? “Gut, dann bis mor­gen”, sagt die Frau. Glei­che Uhr­zeit?” “Nein, mor­gen … also, wol­len Sie jetzt wirk­lich jeden Tag kom­men?” “Von wol­len kann nicht die Rede sein.” “Aber dann … kön­nen wir es nicht so machen, dass-”

“Nein. Wenn ich nicht regel­mä­ßig zu Ihnen kom­me, ver­lie­re ich die­sen Job, und das bedeu­tet für mich Abschie­bung.” “Was? Das ist ja schreck­lich! Und wahr­schein­lich wer­den Sie schlecht bezahlt?” “Schlecht bezahlt? Das gilt als unbe­zahl­tes Prak­ti­kum.” “Aber, das ist doch … recht­lich gese­hen…” Sie schaut mich nur spöt­tisch an. Ich kom­me mir so unbe­hol­fen vor.

Dann grei­fe ich in mei­ne Jacke, die über dem Küchen­stuhl hängt und hole mei­nen Geld­beu­tel her­vor. Sie schüt­telt den Kopf. “Ich wer­de nichts anneh­men. Ich ken­ne das. Die Leu­te wol­len gut sein, und irgend­wann sind sie es Leid. Dann rufen sie bei der Fir­ma an …” “Das wür­de ich nie tun!”, sage ich inbrüns­tig und mei­ne es auch so. Aber ihr generv­ter Blick lässt mich ins Nach­den­ken kom­men. Wenn ich ein­mal anfan­ge, ihr Geld zu geben, dann kann ich auch nicht mehr so ein­fach wie­der damit auf­hö­ren. Wür­de ich wirk­lich mona­te­lang für einen Ser­vice bezah­len, den ich gar nicht will, und der mir unan­ge­nehm ist? Außer­dem, wie­viel soll ich ihr geben?

Ich las­se den Geld­beu­tel auf dem Küchen­tisch lie­gen. “Wovon leben Sie denn?”, fra­ge ich sie. “Möch­ten Sie nicht wenigs­tens etwas essen?” Sie ver­neint. “Das­sel­be Pro­blem.” “Aber das ist — wie Skla­ve­rei!” “Es ist Skla­ve­rei”, stellt sie fest. Sie ist schon bei der Tür. “Ich muss wei­ter.” “Ja, natür­lich, aber … kann ich denn gar nichts für Sie tun?” “Sei­en Sie nicht so ver­zwei­felt. Es wäre schön, wenn Sie mich nicht mit Ihren Emo­tio­nen belas­ten wür­den. Sie nut­zen ja nicht nur mei­ne Arbeits­kraft, son­dern auch die von vie­len ande­ren, die in einer ähn­li­chen Situa­ti­on wie ich sind. Also müss­ten Sie sich eigent­lich schon längst an Ihre aus­beu­te­ri­sche Sei­te gewöhnt haben.”

Habe ich aber nicht. Ich sehe sie die Trep­pe hin­un­ter­ge­hen und wür­de ihr ger­ne irgend­et­was zuru­fen, etwas Lin­dern­des, aber mir fällt nichts ein. Sie wird jetzt also jeden Tag kom­men und mei­ne Skla­vin sein, und mich an das Elend in der Welt erin­nern. Mir ist übel, denn das ein­zi­ge, was mir dazu ein­fällt, ist: ich will die­se Geschirr­spül­ma­schi­ne loswerden!

Am Trep­pen­ab­satz schaut die Frau noch ein­mal zu mir hoch. Jetzt, den­ke ich, jetzt wird sie sagen, dass es nett von mir war, ihr etwas anzu­bie­ten. Ich läch­le sie an. Sie lächelt nicht, als sie sagt: “Und nicht heim­lich vor­spü­len. Alles ste­hen­las­sen.” Mit die­sen Wor­ten wen­det sie sich von mir ab. Wie vom Don­ner gerührt blei­be ich ste­hen, bis sie ganz unten ist, und die Haus­tür mit einem Knall zufällt.