Auf der Suche nach Wegen … Jenseits vom binären “Backe hinhalten oder Ohrfeigen austeilen”

Scheiben einer roten Zwiebel bilden eine Gruppe

“Ich grün­de jetzt eine Gesprächs­grup­pe!”, sage ich zu Fio­na: “Zusam­men­kom­men, inne­hal­ten und alle Toten betrau­ern, gemein­sa­me Per­spek­ti­ven fin­den.” “Das wird schwie­rig”, meint sie. Wahr­schein­lich hat sie recht. Aber war­um sind auf ein­mal alle im Krieg?
Irgend­wie müs­sen wir doch dar­über reden kön­nen, oder? Natür­lich, ein­fach ist es nicht. Was weiß ich schon dar­über? Habe ich auch alle wesent­li­chen Infor­ma­tio­nen? Mit wel­chen Reak­tio­nen muss ich rech­nen? Ich habe Angst, etwas Fal­sches zu sagen. Aber das Schwei­gen ist so bedrü­ckend, für alle. Wie soll die­ses Blut­ver­gie­ßen jemals enden? 
“So darfst du nicht den­ken”, sagt Lisa. “Du musst dich ent­schei­den, Isra­el oder Hamas. Wer will so eine ter­ro­ris­ti­sche isla­mis­ti­sche Grup­pe unter­stüt­zen? Die wür­den dich auch umbrin­gen, also ist die Sache doch klar!” Hm. Die israe­li­sche Regie­rung möch­te ich auch nicht unter­stüt­zen. Ich habe den Ein­druck, dass Men­schen­le­ben kei­nen gro­ßen Wert für sie haben, weder die paläs­ti­nen­si­schen noch die der Gei­seln.
“Es gibt kei­nen Raum für die schreck­li­chen Ereig­nis­se des 7. Okto­ber”, sagt Lena, “mir fehlt die Empa­thie.” Ich stim­me ihr zu. Es ist trau­rig, wenn dazu geschwie­gen wird. Wie kön­nen wir Soli­da­ri­tät mit jüdi­schen Men­schen zei­gen? In wel­chen Aus­sa­gen und Hal­tun­gen ver­steckt sich Anti­se­mi­tis­mus?
“Ich fin­de es schwie­rig”, sagt Luis, “wenn Soli­da­ri­tät mit Isra­el gleich­ge­setzt wird damit, das Töten und Hun­gern las­sen von Palästinenser*innen gut­zu­hei­ßen.” Das ver­ste­he ich. Ich möch­te Empa­thie für die so hef­tig getrof­fe­ne israe­li­sche Gesell­schaft zei­gen kön­nen ohne dass das als Unter­stüt­zung für die­sen Krieg gewer­tet wird. Empa­thie ja, Krieg nein: Wie kann ich das hin­krie­gen, aus­ein­an­der­hal­ten? Bin ich doch par­tei­isch, obwohl ich für bei­de Sei­ten sein möch­te? 
“Du bist ja nicht betrof­fen”, sagt Lui­se, “sonst wür­dest du anders reden!” “Das kann sein”, gebe ich zu. Viel­leicht hät­te ich auch schlimms­te Rachefan­ta­sien, wenn mei­nen Liebs­ten etwas ange­tan wer­den wür­de. Aber ich wür­de mir, zumin­dest von mei­nem jet­zi­gen Wer­te­sys­tem aus­ge­hend, wün­schen, dass mich dann jemand stoppt, wenn ich mit dem Mes­ser los­zie­he und es mich nach Blut gelüs­tet. Und gera­de von mei­nen Freund*innen wür­de ich mir das wün­schen. Dass sie mich zur Besin­nung brin­gen. Mir nahe­brin­gen, dass mein Schmerz nicht ver­sie­gen wird, wenn noch jemand stirbt. Dass ich dadurch auch nicht siche­rer oder bes­ser leben wer­de, im Gegen­teil. Und dass ich es hin­ter­her bereu­en wer­de, jeman­den umge­bracht zu haben, selbst wenn es straf­los bleibt. 
Das lässt Lui­se nicht gel­ten. “Es geht ja nicht um einen ein­ma­li­gen Angriff! Die Hamas hört ein­fach nicht auf, Rake­ten zu schie­ßen. Die müs­sen gestoppt und auf­ge­löst wer­den.” Ganz offen­sicht­lich funk­tio­niert das mit der jet­zi­gen Stra­te­gie nicht. Also muss eine ande­re Lösung her. 
“Deutsch­land hat eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung für Isra­el”, sagt mein Onkel Lars. Ja, auf jeden Fall. Und es hat eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung für die Palästinenser*innen.

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