Wohnungsbesichtigung

Glitzernder Hirsch sitzt auf einem alten Herd, im Hintergrund Vorhänge aus den 70ern

Es ist wenig zu sehen, weil die Woh­nung vol­ler Men­schen ist. Nur im Bade­zim­mer ist nie­mand, da geh ich schnell rein und schlie­ße ab. Ich set­ze mich auf den Klo­de­ckel und befüh­le mein Gesicht. Alles noch da. Es tut gut, die war­men Hän­de auf den Wan­gen zu spü­ren. Und ja, das Bade­zim­mer sieht ganz gemüt­lich aus. Ich glau­be, die übri­ge Woh­nung ist es auch. Aber ich habe kei­ne Chan­ce, bei all die­sen ent­schlos­sen lächeln­den Leu­ten, die die Mak­le­rin umschwär­men und mit ihrer Nor­ma­li­tät punk­ten.
“Ver­su­chen Sie es doch wenigs­tens”, hat mir mei­ne The­ra­peu­tin gera­ten. “Sei­en Sie mutig!” Sie hat eine sehr schö­ne Woh­nung. Zumin­dest das, was ich davon ken­ne, gefällt mir gut. Ich bin aber nicht mutig genug, zu fra­gen, ob sie mir ein Zim­mer ver­mie­tet.
Jemand rüt­telt an der Bade­zim­mer­tür. “Besetzt”, rufe ich gequält. Ich ste­he auf und betrach­te mich im Spie­gel. Zer­zaus­te Haa­re, das Rot des Pull­overs passt nicht so ganz zum Grün der Jacke. Ich streich­le mir eine Fri­sur und schlie­ße den Reiß­ver­schluss, sodass der Pull­over nicht mehr zu sehen ist. Man muss das Bes­te aus sich machen.
Vor­sich­tig schlei­che ich aus dem Bad. Nie­mand beach­tet mich. Alle sind damit beschäf­tigt, sich selbst gut dar­zu­stel­len. Sie bewun­dern laut­stark die Woh­nung, sehen ele­gant aus, erfolg­reich und zah­lungs­kräf­tig. Nur damit ich in der The­ra­pie etwas erzäh­len kann, dräng­le ich mich zur Mak­le­rin durch und bit­te sie um den Bewer­bungs­bo­gen. Sie reicht ihn mir, ohne mich anzu­se­hen.
Ich ver­ab­schie­de mich von der Woh­nung. Wäre schön gewe­sen. Als ich gera­de gehen will, kommt noch jemand zur Tür her­ein. Zwei Köp­fe klei­ner als ich, leuch­tend wei­ße Haa­re, ein Man­tel, der schon vie­le Tage gese­hen hat. Spon­tan drü­cke ich ihr den Bogen in die Hand: “Hier, neh­men Sie, dann brau­chen Sie sich nicht dort anzu­stel­len.” Ich deu­te mit dem Kinn auf den Pulk, der sich um die Mak­le­rin her­um ver­sam­melt hat.
“Gefällt dir die Woh­nung nicht?” “Doch, sehr, aber — ich habe kei­ne Chan­ce.” “War­um nicht?” Ich zucke mit den Ach­seln. “Ich glau­be nicht, dass mir irgend­je­mand eine Woh­nung ver­mie­tet. Ich mei­ne, ich müss­te etwas dafür tun, und ich will ja auch, aber, ich weiß nicht was. Ich habe zwar einen guten Ein­druck von mir, im All­ge­mei­nen. Aber, wenn ich einen guten Ein­druck hin­ter­las­sen möch­te — das geht dann immer schief.“
Ich bin ein biss­chen erschro­cken dar­über, dass ich mit jemand Unbe­kann­tes so viel gere­det habe. “Auf Wie­der­se­hen und viel Glück”, sage ich schnell und will an der Frau vor­bei gehen, als sie mich am Arm packt, mit einer Kraft, die ich ihr nicht zuge­traut hät­te. “Wart mal!” Und dann ertönt ein scheuß­lich lau­tes Geräusch. Es dau­ert einen Moment, bis ich erken­ne, dass die alte Frau es ver­ur­sacht hat, mit einer Art Hupe. Alle star­ren uns an. Jetzt habe ich es mir end­gül­tig ver­scherzt. Und die Frau auch. “So bekommt sie nie eine Woh­nung”, den­ke ich.
Gera­de, als sich alle wie­der abge­wen­det haben von uns Unge­sit­te­ten, hupt die Frau noch ein­mal. “Mei­ne Stim­me ist nicht mehr so kräf­tig”, erklärt sie mir. Jetzt löst sich die Mak­le­rin aus der Men­ge: “Was ist denn da los? — Ach, Frau Hirsch! Ich dach­te, Sie sei­en …” “Nicht zurech­nungs­fä­hig, was?” “Nein, nein, krank …” “Offen­sicht­lich nicht. Schi­cken Sie alle Leu­te nach Hau­se.” “Aber die Woh­nung …” “Ich hab schon jeman­den.” Sie deu­tet auf mich. Wie­der star­ren mich alle an. Feindselig.

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Gardinen

Breiter Wasserfall, der, von der Sonne bestrhlen, golden wird

Mari­za hat ein Sti­pen­di­um mit Resi­denz­pflicht bekom­men und wird drei Mona­te in Prag ver­brin­gen. “Du kannst solan­ge in mei­ner Woh­nung woh­nen”, schlägt sie mir vor. “Du kennst ja alles, bis auf – na ja, die neu­en Gar­di­nen. Die muss ich dir noch erklä­ren.” Ich stut­ze. “Du willst mir Gar­di­nen erklä­ren?” Mari­za ist ein biss­chen ver­le­gen. “Mei­ne Schwes­ter hat sie mir geschenkt. Und sie steht halt auf das Inter­net der Din­ge.” “Bei Gar­di­nen?” “Ja, du kannst Uhr­zei­ten ein­ge­ben, wann sie sich öff­nen und schlie­ßen sol­len. Und sie kön­nen spre­chen.” “Was sagen die denn?” “Was du willst.“
Mehr Erklä­rung gibt es nicht. Als Mari­za mir den Schlüs­sel vor­bei bringt, reden wir nur über Prag und das Kunst­pro­jekt, das sie dort machen will und wie sie mit ihren drei Tan­ten zurecht­kom­men wird, die in Prag leben. Aber als ich in die Woh­nung kom­me, liegt auf dem Küchen­tisch das 500 Sei­ten star­ke “Hand­buch für die Benut­zung der Gar­di­ne “Gol­den Bles­sing”” . Ich blät­te­re dar­in, wäh­rend ich einen Espres­so trin­ke. Und ver­ste­he, war­um die Schwes­ter die­se Gar­di­nen geschenkt hat. Die Woh­nung ist sehr ange­nehm, liegt aber im Erd­ge­schoss. Und da es nur einen schma­len Vor­gar­ten gibt, sind die Leu­te, die vor­bei­ge­hen, sehr prä­sent. Autos fah­ren zum Glück nur weni­ge, weil es eine Sack­gas­se ist. Aber Fußgänger*innen kön­nen zur Rosa Luxem­burg Allee durch­ge­hen, sie kom­men oft am Fens­ter vor­bei und gucken auch rein. Da ist es sinn­voll, Gar­di­nen zu haben, die sich strei­fen­wei­se ver­dun­keln las­sen.
Ich blät­te­re wei­ter zum Kapi­tel “Audio-Auf­nah­men” und neh­me ein paar net­te Begrü­ßun­gen auf, die mir dann je nach Tages­zeit zuge­ru­fen wer­den: “Guten Mor­gen, wie geht es dir?” “Mach dir einen net­ten Abend!” “Schlaf schön”. Ich bin ein biss­chen ein­sam, nach dem letz­ten Korb, den ich gekriegt habe, und kann Auf­mun­te­rung gut brau­chen. Auch mit Affir­ma­tio­nen ver­su­che ich es. Ich neh­me ein paar Sät­ze aus dem Buch, das mir Rena­te geschenkt hat, zum Bei­spiel: “Ich emp­fan­ge jetzt die Wohl­ta­ten des groß­zü­gi­gen Uni­ver­sums”. Scha­de, dass das Job­cen­ter schein­bar in einem gei­zi­gen Par­al­lel-Uni­ver­sum ange­sie­delt ist.

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Supermarkt

Schaltkasten mit Glasröhren-Uhr, alle vier Röhren zeigen eine digitale Null

Ich habe mich noch nicht an Super­märk­te gewöh­nen kön­nen. Es gibt sie nun schon eine gan­ze Wei­le und nichts spricht dafür, dass sie dem­nächst abge­schafft wer­den, des­halb wäre es prak­tisch, ab und zu dort ein­kau­fen zu kön­nen. Aber Super­märk­te sau­gen mich aus und rei­chern mich an mit einer gewal­ti­gen Ver­wir­rung, die Viel­falt genannt wird.
In der Nähe mei­ner Woh­nung hat jetzt ein neu­er Super­markt auf­ge­macht. Ich kann beob­ach­ten, wie die Leu­te dort ein­kau­fen gehen und unbe­hel­ligt wie­der her­aus kom­men. Sogar klei­ne Kin­der kön­nen es.
Aber wenn ich hin­ge­he, ist der Super­markt stär­ker als ich. Er erdrückt mich. Ich weiß genau, war­um man eine Mün­ze oder einen Chip her­ge­ben muss, um einen Ein­kaufs­wa­gen zu bekom­men. Es geht nur vor­der­grün­dig um die Rück­ga­be. Das Wesent­li­che dabei ist, dass man etwas aus der eige­nen Tasche in die­sen Draht­kä­fig auf Rädern steckt, als Ein­wil­li­gung, ab sofort Gefan­ge­ne des Super­mark­tes zu sein. Aller­dings geht es mir mit einem Ein­kaufs­korb auch nicht bes­ser.
Mit dem Wagen habe ich wenigs­tens etwas zum Auf­stüt­zen, wenn mich die­se Schwä­che befällt, beim Gang durch lan­gen Rei­hen vol­ler Pro­duk­te: Far­ben und For­men, die mei­ne Erin­ne­rung an Geschmacks­er­leb­nis­se benut­zen, um mich in die Irre zu füh­ren. Alle die­se Ver­pa­ckun­gen und Aus­la­gen sind Angrif­fe. Schau mich an, lies mich, nimm mich, kauf mich! Im Super­markt soll ich jemand anders sein, eine Kon­su­men­tin, deren Leben dar­in besteht, etwas aus dem Regal zu neh­men und haben zu wol­len. Ich hal­te mich krampf­haft am Ein­kaufs­zet­tel fest, auf den ich immer die glei­chen drei Wör­ter schrei­be: mei­nen Namen. Der Beweis, dass ich exis­tie­re.
Mei­ne größ­te Angst in einem Super­markt ist, dass er mich nicht mehr los­lässt. Wenn ich mir die Leu­te um mich her­um anse­he, befällt mich der Ver­dacht, dass dies eini­gen schon pas­siert ist. Dass sie viel­leicht schon tage- oder wochen­lang hier her­um­lau­fen, immer­zu ein­kau­fen, bezah­len, und dann den Aus­gang nicht fin­den und wei­ter ein­kau­fen. Abends, wenn die Lich­ter gelöscht wer­den, irren sie im Super­markt her­um wie Halb­to­te auf einem Fried­hof, die weder im Grab Zuflucht fin­den noch in ihr Leben zurück dür­fen.
“So geht das nicht wei­ter”, ruft Rena­te, eine Bekann­te, die mich ein­mal im Super­markt getrof­fen hat und dach­te, ich wäre krank. Danach habe ich ihr alles erzählt. Seit­her gibt sie mir Tipps. Jetzt ruft sie an, um nach­zu­fra­gen, wie ihr letz­ter Rat­schlag für den Super­markt-Ein­kauf gehol­fen hat. Ich soll­te mir einen ima­gi­nä­ren Schutz­man­tel anzie­hen. Der war aber viel zu heiß. Ich muss­te ihn schon in der Gemü­se­ab­tei­lung wie­der aus­zie­hen. Es war viel­leicht die fal­sche Metho­de für den Hoch­som­mer. “Jetzt schreibst du Affir­ma­tio­nen!”, sagt Rena­te bestimmt. “Du wirst sehen, das hilft!” “Okay. So etwas wie: “Es macht mir nichts aus, in den Super­markt zu gehen”?” “Kei­ne Ver­nei­nun­gen. Nur posi­ti­ve Sät­ze wir­ken. Und du musst sie an die Wand hän­gen, damit du sie jeden Tag siehst.” Sie schenkt mir sogar ein Buch dar­über.
In die­sem Buch wird aller­dings nur über die wohl­tu­en­de Wir­kung von Affir­ma­tio­nen geschrie­ben. Da steht nichts von den unan­ge­neh­men Gefüh­len, die ent­ste­hen, wenn eine Freun­din zu Besuch kommt und dann mit­lei­dig, besorgt oder sogar miss­trau­isch auf mei­ne Affir­ma­ti­ons­zet­tel guckt, auf denen steht: “Ich kann den Super­markt als Nah­rungs­quel­le für mich akzep­tie­ren” oder “Beim Ein­kau­fen im Super­markt füh­le ich tie­fen inne­ren Frie­den und Heiterkeit.”

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Kuh

Gras mit Ähren wächst in einem Kasten, von dem braun und weiß die blaue Farbe abblättert

Für Fran­zis
Ich den­ke jetzt öfter an eine Kuh. Ich stel­le mir vor, dass sie abends neben mir liegt, wenn ich auf dem Sofa sit­ze. Und allei­ne dadurch, dass sie da ist, und wie­der­käut, strahlt sie Zufrie­den­heit und Zuver­sicht aus und gibt mir eine gewis­se Erdung. Ihr ist es egal, was ande­re von ihr den­ken oder von ihr wol­len. Sie liegt gemüt­lich neben mir und prak­ti­ziert Weis­heit durch ein­fa­ches Dasein.
Wenn ich mei­nen Freund*innen von mei­ner Kuh erzäh­le, bemer­ke ich bei vie­len ein Stirn­run­zeln und Irri­tiert­sein. Aber schließ­lich gewöh­nen sich alle dar­an. Die Kuh bekommt einen Platz bei mei­nen ande­ren Son­der­bar­kei­ten. “Wenn dir das hilft”, sagt Fio­na, “war­um nicht. Aber selt­sam ist es schon.“
Ich blei­be bei mei­ner Kuh. Das ist auch nicht selt­sa­mer als eine Zwei­er­be­zie­hung. Es ist viel­leicht sogar ent­span­nen­der, ab und zu Zeit mit einer Kuh zu ver­brin­gen. Wir leben bei­de unser eige­nes Leben, aber abends mögen wir es manch­mal, zusam­men zu sit­zen und Frie­den zu kom­po­nie­ren. Ich erzäh­le ihr, was ich erlebt habe und wor­an ich schrei­be, und nach einer Wei­le beginnt sie zu spre­chen.
Sie macht so klei­ne Kom­men­ta­re, die nicht unbe­dingt zu dem pas­sen, was ich erzählt habe, oder viel­leicht doch. “Bei­des ist etwas”, sagt sie zum Bei­spiel, oder: “Ich rate dir Rosen.” Oder: “Beim Begin­nen erfährst du mehr.” Als mich ein­mal etwas ärgert, meint sie: “Das ist Son­ne!” Und als ich ihr von mei­ner Steu­er­erklä­rung erzäh­le: “Lass es blau.” Die­se Bemer­kun­gen schei­nen nicht so hilf­reich zu sein, aber mich beru­hi­gen sie irgend­wie, und ich kom­me mit mei­nem All­tag bes­ser zurecht, wenn ich mit mei­ner Kuh dar­über spre­che.
Eines Tages geht der Kühl­schrank kaputt. Ich stel­le mei­ne Lebens­mit­tel in den Flur, weil es dort noch am kühls­ten ist, aber sie wer­den schnell warm und weich, in die­sen hei­ßen Som­mer­ta­gen, sie schmel­zen, trop­fen und stin­ken. Scha­ren von flie­gen­den und krab­beln­den Insek­ten zie­hen in mei­ne Woh­nung ein und ich füh­le mich unwohl dar­in. Es dau­ert eine Wei­le, bis ich einen gebrauch­ten Kühl­schrank orga­ni­siert habe. Erst danach bemer­ke ich, dass mei­ne Kuh ver­schwun­den ist.

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Aufstieg

Leiter an ziegelrotem Schornstein vor gelber Wand, blauer Himmel

Ich habe jetzt eine Woh­nung im fünf­ten Stock eines vier­stö­cki­gen Wohn­hau­ses. Das Trep­pen­haus endet im vier­ten Stock, der Auf­zug fährt aber über das Dach hin­aus und wenn ich dort oben aus­stei­ge, gibt es eine klei­ne Brü­cke am Schorn­stein vor­bei bis zu mei­ner Haus­tür. Ich woh­ne ganz allei­ne hier oben und die Woh­nung ist wirk­lich schön, so luf­tig.
Die Mie­te ist sehr güns­tig, offi­zi­ell ist die­se Woh­nung näm­lich eine Vogel-Beob­ach­tungs-Sta­ti­on. Des­halb gibt es auch so vie­le Fens­ter und ich habe die Auf­la­ge, dass an den Wän­den nur Bil­der von Vögeln hän­gen dür­fen. Falls mal eine Kon­trol­le kommt. Dafür muss ich auch Lis­ten bereit hal­ten, auf denen die Zah­len schon ein­ge­tra­gen sind, ich brau­che nur das aktu­el­le Datum dazu zu schrei­ben.
Als ich mich um die Woh­nung bewor­ben habe, muss­te ich einen Vogel-Erken­nungs-Test machen. Zum Glück hat­te ich schon vor­her gro­ßes Inter­es­se an Vögeln, zusätz­lich habe ich dann zwei Wochen lang Tag und Nacht den Vogel­at­las aus­wen­dig gelernt. Es gab meh­re­re hun­dert Bewerber*innen, und ich habe die Woh­nung letzt­end­lich nur des­halb bekom­men, weil ich ein­mal eine Fern­be­zie­hung in Aus­tra­li­en hat­te und dadurch auch den Blau­brust-Spitz­schwanz-Rosen­spöt­ter erkann­te, den es in Euro­pa bis vor kur­zem nicht gab, der aber durch den Kli­ma­wan­del ein­ge­flo­gen ist.
Ich bin sehr froh über mein neu­es Zuhau­se. Es gibt nur ein Pro­blem. Der Auf­zug ist ziem­lich oft kaputt. Herr Unger aus dem zwei­ten Stock ist für die Repa­ra­tur zustän­dig, er küm­mert sich aber nur sehr unre­gel­mä­ßig dar­um. Wenn ich mor­gens bemer­ke, dass der Auf­zug nicht funk­tio­niert, rufe ich bei mei­ner Nach­ba­rin im vier­ten Stock an: “Es tut mir Leid, es ist wie­der ein­mal so weit.” Am Schorn­stein ist eine Feu­er­lei­ter befes­tigt, mit ihrer Hil­fe kom­me ich bis zum Dach­vor­sprung. Dort gibt es eine Strick­lei­ter, die bis zum vier­ten Stock hin­un­ter hängt. Ich klet­te­re run­ter und dann muss Frau Blau die unters­te Spros­se mit­hil­fe einer lan­gen Stan­ge mit Haken bis zu ihrem Fens­ter her­an zie­hen, sodass ich die Hal­te­grif­fe an der Außen­wand fas­sen kann.

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Unterkunften

Verfallende Hütte, von verkehrten Gießkannen begossen

Für Her­ma­nus, in memo­ri­am
Die­se Ton-Dia-Show ist in Zusam­men­ar­beit mit Anne Fri­si­us ent­stan­den, in der Som­mer­aka­de­mie 2017 in Bre­men beim Semi­nar von Her­ma­nus Wes­ten­dorp: Heart­break Hotel.

Unter­kunf­ten
Unter­kunft klingt unge­müt­lich. Kunft. Kunft­tun, künf­tig, kunf­ten, die Kunf­tung. Ankunft. Ein­kunft. Aus­kunft. Nie­der­kunft. Über­kunft und Unter­kunft. Das gan­ze Leben brau­chen wir eine Unter­kunft. Beson­ders im Urlaub.
Für wenig Geld kann man zum Bei­spiel in einem Krug unter­kom­men. Man wird abends mit lau­war­mem Was­ser bedeckt und mor­gens durch ein Sieb abge­gos­sen. Der All­tag tropft von einem ab und im Sieb bleibt der tou­ris­ti­sche Mensch zurück.
In man­chen Hotels kann man kos­ten­los woh­nen, wenn man sich dafür bei den Mahl­zei­ten auf dem Buf­fet aus­stel­len lässt. Man muss dafür aller­dings ziem­lich ruhig sit­zen kön­nen und mor­gens Kaf­fee­par­fum benutzen.

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Intelligenztest

Ein Apfelteiler, ein Quirl und ein Sieb, alles metallisch glänzend, quer im Bild

Abends gehe ich manch­mal auf dem klei­nen Hügel spa­zie­ren und wenn es einen Son­nen­un­ter­gang gibt, schau ich ihn mir an. Es gibt natür­lich jeden Abend einen Son­nen­un­ter­gang, aber meis­tens sieht man nichts oder wenig davon. Ab und zu aber, wie heu­te, ist es ein Spek­ta­kel in den schöns­ten Rot­tö­nen. Ich blei­be ste­hen und genie­ße den Anblick. Hin­ter mir sagt eine Stim­me: “Schon wie­der eine Kuh.” Ich dre­he mich um, da steht eine Frau in einer gel­ben Jacke. “Was für eine Kuh?” “Das wüss­test du ger­ne!” “Ja.” Die Frau kommt näher, steht dicht vor mir: “Ich bin die Lui­se.” “Ange­nehm”, sage ich, und gehe dabei einen Schritt zurück, weil mir in Wirk­lich­keit etwas unbe­hag­lich ist. Lui­se quit­tiert es mit einem spöt­ti­schen Grin­sen.
“Die Kühe von Gott”, erklärt sie, “woh­nen in den Wol­ken. Manch­mal nimmt er ein Mes­ser, sticht eine ab und isst sie auf.” “Äh — ich glau­be nicht, dass das so ist.” “Und war­um ist der Him­mel rot?” Ihre Augen haf­ten an mir. “Das ist etwas Phy­si­ka­li­sches … eine Licht­bre­chung.” “Es ist Blut. Got­tes Abend­mahl.” Sie schaut in den Him­mel und ich guck auch hin, und was eben noch schön aus­sah, wirkt auf ein­mal unheim­lich. Zum Glück ver­tieft Lui­se das The­ma nicht. “Ich mag Kuchen und Kopf­kis­sen. Und du?” “Ich auch.” “Das gilt nicht! Du musst schon was eige­nes neh­men.” “Ich mag Bücher.” “Bücher? Du glaubst wohl, du bist intel­li­gent!” “Ja, eigent­lich schon.” “Pass auf, ich mach einen Test mit dir. Haben­se mit mir auch gemacht. Damit haben sie mir den Beweis gege­ben, dass ich dumm bin.” “Gemein”, sage ich.
Sie schaut mich über­rascht an. “Bist die ers­te, die sowas sagt. Alle sagen immer, ich muss das axep­tie­ren.” Sie macht eine abwei­sen­de Hand­be­we­gung. “Jetzt gibt’s den Test. Ers­te Sache: Ein Blu­men­kohl und ein Fri­sör. Wo ist der Witz?” Ich muss lachen. “Nicht schlecht”, meint sie. “Drei Punk­te. Nächs­te Sache: Zu jedem Kauf­haus gehört?” “Äh … naja, Din­ge, die man da kau­fen kann, Verkäufer*innen … eine Roll­trep­pe?” “Null Punk­te. Zu jedem Kauf­haus gehört ein Dieb. Nächs­te Sache: Was ist Elektrik?”

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