Mozzarella

Schaum mit Flecken, der wie ein Hase aussieht

Auf dem Nach­hau­se­weg ent­steht so eine Unru­he in mei­ner Ein­kaufs­ta­sche und als ich aus­pa­cke, sehe ich es: in der Moz­za­rel­la-Packung bewegt sich etwas. Vor­sich­tig, mit einem Koch­löf­fel, stub­se ich dar­an. Es fiebt und ich zucke zurück. Was ist das? Ich mag es mir nicht vor­stel­len, was da drin ist. Ich will nicht schon wie­der Pro­ble­me haben. Am liebs­ten wür­de ich die Packung aus dem Fens­ter wer­fen. Das wür­de jedoch sicher Ärger nach sich zie­hen, weil Frau Hüh­ner aus dem Erd­ge­schoss regel­mä­ßig die Umge­bung kon­trol­liert und mit allem, was sie fin­det, von Tür zu Tür geht: “Ist das von Ihnen? Stel­len Sie sich vor, das habe ich vor unse­rem Haus gefun­den. Sieht aus, als hät­te jemand einen Moz­za­rel­la aus dem Fens­ter gewor­fen. Der ist noch nicht mal abge­lau­fen.“
Soll ich die Packung in den Laden zurück tra­gen? Aber was pas­siert dann damit? Sie liegt jetzt ganz still auf mei­nem Küchen­tisch. Ich hebe sie hoch, hal­te sie über die Spü­le und schnei­de die obe­re Ecke ab. Nichts regt sich. Ich schüt­te die Salz­la­ke aus. Nichts. Ich hab mir das Gan­ze nur ein­ge­bil­det. Vor­sich­tig lege ich die Ver­pa­ckung in die Spü­le, schnei­de sie auf und hebe das Plas­tik an.


Da liegt — ein Moz­za­rel­la. Und bewegt sich. Tas­tet sich in der Spü­le vor­an. Mir läuft es kalt über den Rücken. Das kann nicht sein! Ist das nicht nur Milch? Aber da wird noch etwas zuge­setzt. Wahr­schein­lich leben­de Bak­te­ri­en-Kul­tu­ren, und die haben jetzt die Ober­hand gewon­nen und krie­chen wie eine Schne­cke die Wand der Spü­le hoch. Fran­ken­stein in mei­ner Küche. Mir gru­selt es.
Was mache ich jetzt? Es kriecht auf mich zu, ich wei­che zurück. Ich will die­ses Ding nicht. Soll ich es — tot­schla­gen? Oder erste­chen? Es ist eigent­lich nur ein klei­nes Tier, harm­los, zumin­dest hat es kei­ne Zäh­ne. Ich weiß noch nicht ein­mal, wo vor­ne und hin­ten ist. Aber ich möch­te kei­nen frei­lau­fen­den Moz­za­rel­la in mei­ner Woh­nung.
Gibt es eine Bera­tungs­stel­le für leben­de Lebens­mit­tel? Soll ich die Ver­brau­cher­zen­tra­le anru­fen? Oder den Tier­schutz­ver­ein? Ich fra­ge mich, ob mir irgend­je­mand glau­ben wird, dass ein Kuh­milch-Moz­za­rel­la am Vor­hang mei­ner Küche hoch kriecht. Und war­um so etwas immer mir pas­siert.
War­um hab ich aus­ge­rech­net die­se Packung genom­men? Oder — kommt das öfter vor? Sind die ande­ren alle umge­bracht wor­den? Ist das hier das ein­zi­ge Über­le­ben­de? Oder das Ergeb­nis eines gen­tech­ni­schen Expe­ri­ments, eine Kreu­zung aus Platt­wurm und Käse­ku­gel? Das arme Vieh kann auf jeden Fall nichts dafür. Soll es hier her­um krie­chen, ich wer­de nicht die Lebens­mit­tel-Auf­sicht ver­stän­di­gen. Wie es sich wohl ernährt? Mit Milch? Oder ist das Kan­ni­ba­lis­mus?
Ich pro­bie­re es mit einem fla­chen Schäl­chen Soja­milch. Tat­säch­lich erklimmt es den Rand, stülpt sich über das Schäl­chen, dann gibt es ein gur­geln­des Geräusch wie wenn das letz­te Was­ser aus der Bade­wan­ne in den Abfluss rinnt. Und ein Rülp­sen. Als der Moz­za­rel­la wei­ter zieht, ist die Soja­milch weg. Das hat also schon mal geklappt.
Es ist fas­zi­nie­rend, wie sich die­ses — Tier, oder was ist es? vor­wärts schiebt, lang­sam aber beharr­lich, die gan­ze Küche erkun­det und dabei eine feuch­te Spur hin­ter­lässt. Kein Schleim, wie ich erleich­tert fest­stel­le, nur Was­ser. Also gut, habe ich jetzt eben ein Haus­tier. La Moz­za­rel­la. Wie nen­ne ich sie? Ich ent­schei­de mich für Mo.
Mo kann nicht nur an der Küchen­de­cke ent­lang krie­chen, son­dern sich auch dünn machen, und sie hat unge­ahn­te Kräf­te. Sie saugt so lan­ge am Spalt zwi­schen dem Kühl­schrank und sei­ner Tür, bis sich das Gum­mi löst und einen Weg frei­gibt, durch den Mo ins Inne­re schlüpft. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich kei­nen wei­te­ren Moz­za­rel­la dar­in auf­be­wah­re. Ich öff­ne die Tür und sehe, wie Mo die Zitro­ne umarmt.
Im Lau­fe des Tages begin­ne ich, mit Mo zu spre­chen, genau in die­sem Ton­fall, in dem ande­re mit ihren Hun­den, Kat­zen oder auch Kin­dern spre­chen und den ich sonst so ner­vig fin­de. An mir ist er gar nicht ner­vig. Für Mo ist er genau rich­tig.
War­um habe ich mich nur so sehr gefürch­tet vor der süßen Mo? Mit Schau­dern den­ke ich dar­an, dass ich sie erste­chen oder aus dem Fens­ter wer­fen woll­te. Wie grau­sam. Was wäre mir ent­gan­gen! Wer weiß, wie vie­le leben­de Moz­za­rel­la schon im Abfall gelan­det oder ver­speist wor­den sind.
Abends über­le­ge ich, wo Mo schla­fen kann. Ich bie­te ihr den Brot­korb an. Abge­lehnt. Mo kommt mit ins Bade­zim­mer, als ich mir die Zäh­ne put­ze, und ver­drängt schließ­lich die Sei­fe aus ihrer Scha­le und macht es sich dar­in gemüt­lich. Das ist für mei­ne Geschmacks­ner­ven schwer erträg­lich. Mor­gen wer­de ich die Sei­fen­scha­le gründ­lich säu­bern. “Gute Nacht, Mo!” Ob sie eine Decke braucht? Einen Gute Nacht Kuss möch­te? Ich lege ihr einen Wasch­lap­pen hin, zum Zude­cken, mehr nicht. Bis jetzt habe ich Mo noch nicht ange­fasst.
Ich set­ze mich ins Bett, neh­me ein Buch zur Hand, kann aber nicht lesen. Wie soll ich das mei­nen Freund*innen erzäh­len? Zumin­dest die mit Tier­haar­all­er­gie könn­ten sich doch über so ein haar­lo­ses Tier freu­en. Plötz­lich ein Geräusch an der Tür. Mo zwängt sich durch den Tür­schlitz am Boden ins Zim­mer. Nein! Nicht in mein Bett! Nicht so ein glit­schi­ges, wab­be­li­ges — jetzt ekelt es mich wie­der. Ich kann es aber nicht ver­hin­dern: Mo ist schon im Zim­mer. Dann steu­ert sie aller­dings nicht das Bett an, son­dern das Sofa. Sie kriecht an der Decke hin­auf, und hockt sich dann genau in den Fleck, wo der vol­le Mond hin scheint. Natür­lich, sie sind mit­ein­an­der ver­wandt! Die Ähn­lich­keit ist unbe­streit­bar.
Ich mache das Licht aus. Mo leuch­tet im Mond­schein. Ich weiß nicht, wie es mit uns bei­den wei­ter geht, ich weiß nur eins: ich wer­de nie wie­der Moz­za­rel­la essen.