Für Daniela und Fara Auf der Straße kommt mir ein Pferd entgegen. Allein. Ohne Sattel. Ein nacktes Pferd. Es bleibt stehen und hält seine Schnauze an den Flieder, schnuppert an den lila Blüten, schnaubt und geht weiter. Es ist Mai und warm, ein ruhiger Nachmittag, niemand ist auf der Straße, nur die Hufe klappern auf dem Asphalt, der Pferdeschwanz schlägt, die Fliegen, die mal reiten wollten, werden links und rechts verjagt und taumeln in der Luft herum. Ich denke an die Frau meines Lebens, und dass heute der richtige Tag wäre, um sie kennen zu lernen. So ein sonniger Frühlingstag, an dem die Bienen goldene Hosen aus Blütenstaub tragen und die Maulwürfe nach dem nächtlichen Regen in der warmen Erde gut voran kommen. Das Pferd ist vielleicht ein Zeichen. So ein Glückspferd sollte ich nicht aus den Augen lassen. Ich wende mein Fahrrad und folge ihm.
eine wilde Wiese weht durch mein Gemüt reizende Ziegen ziehen vorbei grasen und grüßen schütteln sich verfliegen wieder
der Bärlauch treibt den Frühling weit wir springen schon mit Sommerfüßen in ein Zuhaus aus Gras und Kunst mitten im blühenden Unsinn ruft uns der Kuckuck es gibt nur einen Tag zum Leben
ich habe jetzt andere Borsten als früher und immer noch keine goldene Nase aber eine Gegensprech-Anlage und stets ein paar Wechsel im Ärmel
du beleuchtest Spezialitäten konsequent querbeet dein warmes wie? deine lockigen Fragen finden Zartes und Ungereimtes in Zwischenräumen
wenn mir das Alfabet zu klein wird machen deine Bilder den Raum auf und bringen den richtigen Dreh rein wir sind stegreif für die Bühne erfinden unseren eigenen Drive und heben ab
es braucht Verlangen Verlockung und Knochen ein bisschen Störung im Flieder Praktika mit Paprika lockere Linsen
Ich habe ein Treppenhaus geerbt. Es steht in der Lindenstraße*, mit einem schönen Haus drumrum, und ich bekomme eine Mautgebühr, die pro Stockwerk berechnet wird. Je höher oben jemand wohnt, umso mehr kann ich verlangen. Nur das Ehepaar im vierten Stock links zahlt nichts. Sie haben einen Outdoor-Laden und seilen sich morgens ab und klettern abends wieder hoch. Allerdings hat ein Cousin dritten Grades, der die Fassade geerbt hat, sie wegen der Schäden in der Hauswand verklagt. Das Ehepaar hat sich daraufhin eine Transport-Drohne angeschafft. In den Löchern haben sich Schwalben eingenistet und die dürfen aus Naturschutz-Gründen nicht gestört werden. Solche Schwierigkeiten habe ich mit meinem Treppenhaus nicht. Das einzige Problem ist, dass ich vor Ort sein muss, um die Mautgebühr einzutreiben. Da ich aber sowieso nur vorübergehend in einem Gartenhaus wohne, ziehe ich eben in die Lindenstraße* um. Es gibt dort einen Vorraum mit Marmorboden, von der Haustür eine Halbtreppe runter, bei den Briefkästen. Unter die Treppe zum Erdgeschoss kann ich meine Matratze legen, dort habe ich auch ein bisschen Privatsphäre, weil ich einen Vorhang davor hänge. Gegenüber den Briefkästen stelle ich zwei Stühle und einen Tisch auf, und ich besorge mir einen Gaskocher und einen Mini-Kühlschrank. Wasser und Toilette gibt es im Keller. * Zu Ähnlichkeiten mit real existierenden Straßen s. Lindenstraßen-Camp Proteste
“Du kannst bei uns im Gartenhaus wohnen”, sagt Elli, als ich aus meiner Wohnung raus muss, “es darf nur nicht auffallen.” Zu dem vierstöckigen Haus, in dem sie mit ihrer WG wohnt, gehört ein großer Garten, der aber kaum genutzt wird. Das Gartenhaus steht ganz hinten, links und rechts von Holunderbüschen gestützt. Es ist größer als ich gedacht habe: zwei Zimmer hintereinander, möbliert. Im ersten eine Kommode mit einer Kochplatte darauf, im zweiten ein Sofa, das sich ausziehen lässt. An einer Wand hängen Gartengeräte und unter der Decke getrocknete Kräuter, die herunter rieseln, wenn die Tür ein bisschen fester zuschlägt. Unter dem Tisch wohnt ein Rasenmäher. Auf dem Boden entdecke ich Mäuseköttel. Neben dem Fenster steht eine Heiligenstatue mit einem Spaten in der Hand. “Hat wahrscheinlich der Gärtner hier reingestellt”, sagt Elli, als sie meinen Blick sieht, “der hat früher hier gewohnt.“ Es gibt Strom und Wasser aus einem Gartenschlauch, aber keine Toilette. “Kommste einfach zu uns”, meint Elli, “die Leute im Haus können uns sowieso nicht auseinander halten. Es ist sicher nicht erlaubt, hier zu wohnen, deshalb versteckst du dich am besten, wenn jemand kommt. Aber wahrscheinlich kommt niemand. Den Garten macht jetzt eine Firma, und die haben ihre eigenen Geräte.“ Ich nicke zu allem, ich bin froh, dass ich hier unterkommen kann. Wenn ich aufs Klo muss, setze ich eine Baseballkappe verkehrt herum auf und grinse frech, wenn ich jemanden im Treppenhaus treffe. Und nachdem ich festgestellt habe, dass die Heiligenstatue hohl ist, übe ich solange, bis ich blitzschnell in sie hinein schlüpfen kann. Das ist das erste, was mir einfällt, als meine Beraterin im Jobcenter, Frau Fink, mich nach meinen Qualifikationen fragt: Ich kann mich gut verstecken.
Das Tier, das in meinem Briefkasten wohnt, ist nicht oft zu Hause. Ich habe es nur einmal gesehen. Als ich den Briefkasten aufgemacht habe, ist es durch den Briefschlitz nach draußen gehuscht: graubraunes Fell, kurzer breiter Schwanz. An meinen Briefen sind jetzt häufig die Ecken abgebissen und auf der Zeitung klebt Schleim. Ich rege mich nicht sehr darüber auf, ich bekomme fast nur Rechnungen, und die Zahlen sind gut zu lesen, trotz der Biss-Spuren. Der Schleim sieht ekelig aus, ist aber durchsichtig, sodass ich die Zeitung trotzdem lesen kann. Eines Tages bekomme ich eine Büchersendung und vom Karton ist ein großes Stück abgebissen. Erst da kommt mir der Gedanke, dass das Tier mir gefährlich werden könnte. Ich setze jetzt immer einen Helm auf, bevor ich den Briefkasten öffne.
Der Flur ist nur einen Meter fünfzig hoch, wir müssen gebückt hindurch gehen. Der Herd ist größer als die Küche. Zum Bad geht es über eine Leiter, die auf dem Balkon steht. Das Schlafzimmer ist dreieckig, es wird kein Bett hinein passen. Ich kann es zurecht sägen, denke ich. Und das Wohnzimmer wirkt geräumig. Das Moos an den Wänden lässt sich wahrscheinlich leicht abkratzen. “Ich nehme sie”, sage ich. Du schüttelst sehr langsam den Kopf. Ich bin so müde vom vielen Suchen … ich lege mich auf den Teppich. Ein senfgelber Teppich voller Flecken, ich bin wahrscheinlich verwandt mit ihm. Zumindest fühle ich mich genauso, gelb und fleckig, und in meinem Gehirn reiht sich Schlaufe an Schlaufe an Schlaufe. Der Makler räuspert sich, ein ungeduldiger junger Mann im Anzug. Er trägt einen goldenen Helm, der spitz zuläuft. Vielleicht geht er manchmal zum Angriff über, rennt mit gesenktem Kopf los und spießt jemanden auf. Über mir brummt etwas. An der Decke klebt eine Höhle aus Lehm, eine Art Dachs schaut heraus, das Brummen kommt von ihm. Es hört sich nicht direkt drohend an, aber doch unfreundlich.