Ein grauer Hund, den ich gleich verdächtig finde, weil er das Gesicht einer Löwin hat, kriecht unter die Bank, auf der ich sitze, hebt sie an und geht mit ihr, und mir, davon. Halt!, rufe ich, stehenbleiben! Diese Bank hatte einen besonders schönen Standort, ein bisschen versteckt in den Heckenrosen. Genauso versteckt war ich, und jetzt werde ich nicht nur auf den Weg hinaus getragen, sondern auch den Blicken der Menschen frei gegeben, die im Park herum spazieren und wahrscheinlich froh sind, wenn sie an einem langweiligen Sonntag Nachmittag etwas geboten bekommen. Sie beachten mich aber gar nicht.
Der Hund hört auch nicht auf mich, sondern trottet weiter, trägt mühelos mich und die Bank und schleift auch mein Fahrrad noch mit, das ich mit dem Vorderrad angeschlossen habe, weil ich manchmal auf Bänken, in der Sonne, einschlafe. Das Hinterrad liegt am Boden auf und dreht sich mit, der Lenker ragt über die Lehne. Ich klingle, um den Hund auf mich aufmerksam zu machen. Die Klingel scheint kaputt zu sein. Der Schlegel stößt zwar ans Gehäuse, vibriert, aber es ist nichts zu hören, stattdessen duftet es nach Thymian.
Wahrscheinlich wächst hier welcher, denn der Hund ist vom Weg abgebogen und läuft jetzt zwischen langen Gräsern hindurch quer über die Wiese, deren Betreten streng verboten ist. Aber niemand regt sich auf und stoppt uns. Ich sitze weiter in dieser lächerlichen Position, auf einer hundegetragenen Bank, von der ich zwar abspringen könnte, und, im Nebenherlaufen, mit ein bisschen Geschicklichkeit, auch mein Fahrrad befreien würde, aber ich bleibe sitzen, weil an so einem Tag wie heute auch das noch schief gehen könnte.
Eben dieses bisschen Geschicklichkeit scheint für mich gerade nicht abrufbar zu sein. Auch die Vorstellung, erzählen zu müssen, dass mein Fahrrad von einem Hund gestohlen wurde und damit Heiterkeit auszulösen, lässt mich auf der Bank verharren, während andererseits der Gedanke daran, dass ich mich aus dieser langsamen Entführung nicht befreien kann, mich noch zaghafter und ängstlicher macht. Jetzt nicht weinen, denke ich, aber schon laufen Tränen über meine Wangen. Ich schließe die Augen und hoffe, dass mich niemand so sieht und dass dieses graue Tier von alleine von seinem Vorhaben ablässt.
Brille
In der Straßenbahn springt mir ein zotteliges Tier auf den Schoß, stemmt seine Vorderbeine gegen meine Schultern und leckt mir das Gesicht, außer sich vor Freude über unser Wiedersehen, als hätte uns ein Unglück vor Jahren getrennt — eine Erdspalte vielleicht, die sich zwischen uns aufgetan hat, und die die Straßenbahn kraft ihrer Schienen überwunden hat.
Aber ich kenne das Tier nicht. Es scheint ein Hund zu sein, weil es ein Halsband hat, das ich in meiner Abwehrreaktion zu fassen bekomme. Ich ziehe daran, um diese schlabberige Zunge von meinem Gesicht abzuhalten. Es gelingt mir nicht. Schließlich tauche ich unter dem Tier hindurch, sodass ich auf dem Boden zu liegen komme, während der Hund auf meinem Sitz thront und mich freudig anbellt.
“Er mag sie!”, ruft eine Stimme entzückt und eine Frau mit fuchsfarbenem Haar und einem Fahrschein in der Hand eilt auf das Tier zu und bedeckt es mit Küssen. “Pomodoro, was hast du gemacht? Jetzt muss die Frau auf dem Boden sitzen!” Pomodoro wedelt mit dem Schwanz. Er zeigt keine Tateinsicht, warum auch, er findet es wahrscheinlich nicht schlimm, dass zur Abwechslung mal jemand anders auf dem Boden sitzen muss.
“Er ist aus dem Tierheim”, erklärt mir die Frau, “deshalb darf man ihn nicht zu sehr tadeln. Sonst verkriecht er sich.” Das würde mir in diesem Moment nichts ausmachen, denke ich, während ich die Hand ergreife, die die Frau mir reicht, um mir beim Aufstehen behilflich zu sein. “Sind Sie okay?”, fragt sie, als wir auf Augenhöhe miteinander sprechen können. Ich nicke und sie gibt mir ein Taschentuch, mit dem ich mir den Schleim vom Gesicht wischen kann.
“Pomodoro ist eigentlich sehr zurückhaltend”, erzählt sie weiter. “Dass er Sie so begrüßt hat, bedeutet, dass Sie ein ganz besonderer Mensch sind.” Sie sieht mich so bewundernd an, dass ich ihr noch nicht einmal böse sein kann. “Kommen Sie uns doch besuchen!” “Äh … ich muss zum Jobcenter.” “Wir können Sie begleiten!” Bevor ich dazu komme, dieses Angebot elegant abzulehnen, fasst mir die Frau ins Haar. “Was haben Sie denn da?” Sie zieht meine Lesebrille aus meinen Haaren, wo ich sie wahrscheinlich beim Ansturm von Pomodoro reflexartig hingeschoben habe, um sie zu schützen.
Das hat nicht funktioniert. Ein Bügel fehlt, der andere ist stark nach außen abgespreizt. “Jetzt ist sie kaputt”, sage ich. Ich bemühe mich um einen neutralen Tonfall, klinge aber jämmerlich. “Das macht doch nichts.” Die Frau legt mir tröstend die Hand auf den Arm. “Nehmen Sie meine.” Aus ihrer Brusttasche zieht sie eine Brille mit Goldrahmen und wie eine Optikerin setzt sie sie mir auf und betrachtet mich prüfend: “Passt.”
Wohnungsbesichtigung
Es ist wenig zu sehen, weil die Wohnung voller Menschen ist. Nur im Badezimmer ist niemand, da geh ich schnell rein und schließe ab. Ich setze mich auf den Klodeckel und befühle mein Gesicht. Alles noch da. Es tut gut, die warmen Hände auf den Wangen zu spüren. Und ja, das Badezimmer sieht ganz gemütlich aus. Ich glaube, die übrige Wohnung ist es auch. Aber ich habe keine Chance, bei all diesen entschlossen lächelnden Leuten, die die Maklerin umschwärmen und mit ihrer Normalität punkten.
“Versuchen Sie es doch wenigstens”, hat mir meine Therapeutin geraten. “Seien Sie mutig!” Sie hat eine sehr schöne Wohnung. Zumindest das, was ich davon kenne, gefällt mir gut. Ich bin aber nicht mutig genug, zu fragen, ob sie mir ein Zimmer vermietet.
Jemand rüttelt an der Badezimmertür. “Besetzt”, rufe ich gequält. Ich stehe auf und betrachte mich im Spiegel. Zerzauste Haare, das Rot des Pullovers passt nicht so ganz zum Grün der Jacke. Ich streichle mir eine Frisur und schließe den Reißverschluss, sodass der Pullover nicht mehr zu sehen ist. Man muss das Beste aus sich machen.
Vorsichtig schleiche ich aus dem Bad. Niemand beachtet mich. Alle sind damit beschäftigt, sich selbst gut darzustellen. Sie bewundern lautstark die Wohnung, sehen elegant aus, erfolgreich und zahlungskräftig. Nur damit ich in der Therapie etwas erzählen kann, drängle ich mich zur Maklerin durch und bitte sie um den Bewerbungsbogen. Sie reicht ihn mir, ohne mich anzusehen.
Ich verabschiede mich von der Wohnung. Wäre schön gewesen. Als ich gerade gehen will, kommt noch jemand zur Tür herein. Zwei Köpfe kleiner als ich, leuchtend weiße Haare, ein Mantel, der schon viele Tage gesehen hat. Spontan drücke ich ihr den Bogen in die Hand: “Hier, nehmen Sie, dann brauchen Sie sich nicht dort anzustellen.” Ich deute mit dem Kinn auf den Pulk, der sich um die Maklerin herum versammelt hat.
“Gefällt dir die Wohnung nicht?” “Doch, sehr, aber — ich habe keine Chance.” “Warum nicht?” Ich zucke mit den Achseln. “Ich glaube nicht, dass mir irgendjemand eine Wohnung vermietet. Ich meine, ich müsste etwas dafür tun, und ich will ja auch, aber, ich weiß nicht was. Ich habe zwar einen guten Eindruck von mir, im Allgemeinen. Aber, wenn ich einen guten Eindruck hinterlassen möchte — das geht dann immer schief.“
Ich bin ein bisschen erschrocken darüber, dass ich mit jemand Unbekanntes so viel geredet habe. “Auf Wiedersehen und viel Glück”, sage ich schnell und will an der Frau vorbei gehen, als sie mich am Arm packt, mit einer Kraft, die ich ihr nicht zugetraut hätte. “Wart mal!” Und dann ertönt ein scheußlich lautes Geräusch. Es dauert einen Moment, bis ich erkenne, dass die alte Frau es verursacht hat, mit einer Art Hupe. Alle starren uns an. Jetzt habe ich es mir endgültig verscherzt. Und die Frau auch. “So bekommt sie nie eine Wohnung”, denke ich.
Gerade, als sich alle wieder abgewendet haben von uns Ungesitteten, hupt die Frau noch einmal. “Meine Stimme ist nicht mehr so kräftig”, erklärt sie mir. Jetzt löst sich die Maklerin aus der Menge: “Was ist denn da los? — Ach, Frau Hirsch! Ich dachte, Sie seien …” “Nicht zurechnungsfähig, was?” “Nein, nein, krank …” “Offensichtlich nicht. Schicken Sie alle Leute nach Hause.” “Aber die Wohnung …” “Ich hab schon jemanden.” Sie deutet auf mich. Wieder starren mich alle an. Feindselig.