“Du kannst bei uns im Gartenhaus wohnen”, sagt Elli, als ich aus meiner Wohnung raus muss, “es darf nur nicht auffallen.” Zu dem vierstöckigen Haus, in dem sie mit ihrer WG wohnt, gehört ein großer Garten, der aber kaum genutzt wird. Das Gartenhaus steht ganz hinten, links und rechts von Holunderbüschen gestützt.
Es ist größer als ich gedacht habe: zwei Zimmer hintereinander, möbliert. Im ersten eine Kommode mit einer Kochplatte darauf, im zweiten ein Sofa, das sich ausziehen lässt. An einer Wand hängen Gartengeräte und unter der Decke getrocknete Kräuter, die herunter rieseln, wenn die Tür ein bisschen fester zuschlägt. Unter dem Tisch wohnt ein Rasenmäher. Auf dem Boden entdecke ich Mäuseköttel. Neben dem Fenster steht eine Heiligenstatue mit einem Spaten in der Hand. “Hat wahrscheinlich der Gärtner hier reingestellt”, sagt Elli, als sie meinen Blick sieht, “der hat früher hier gewohnt.“
Es gibt Strom und Wasser aus einem Gartenschlauch, aber keine Toilette. “Kommste einfach zu uns”, meint Elli, “die Leute im Haus können uns sowieso nicht auseinander halten. Es ist sicher nicht erlaubt, hier zu wohnen, deshalb versteckst du dich am besten, wenn jemand kommt. Aber wahrscheinlich kommt niemand. Den Garten macht jetzt eine Firma, und die haben ihre eigenen Geräte.“
Ich nicke zu allem, ich bin froh, dass ich hier unterkommen kann. Wenn ich aufs Klo muss, setze ich eine Baseballkappe verkehrt herum auf und grinse frech, wenn ich jemanden im Treppenhaus treffe. Und nachdem ich festgestellt habe, dass die Heiligenstatue hohl ist, übe ich solange, bis ich blitzschnell in sie hinein schlüpfen kann. Das ist das erste, was mir einfällt, als meine Beraterin im Jobcenter, Frau Fink, mich nach meinen Qualifikationen fragt: Ich kann mich gut verstecken.
Briefkasten
Das Tier, das in meinem Briefkasten wohnt, ist nicht oft zu Hause. Ich habe es nur einmal gesehen. Als ich den Briefkasten aufgemacht habe, ist es durch den Briefschlitz nach draußen gehuscht: graubraunes Fell, kurzer breiter Schwanz. An meinen Briefen sind jetzt häufig die Ecken abgebissen und auf der Zeitung klebt Schleim. Ich rege mich nicht sehr darüber auf, ich bekomme fast nur Rechnungen, und die Zahlen sind gut zu lesen, trotz der Biss-Spuren. Der Schleim sieht ekelig aus, ist aber durchsichtig, sodass ich die Zeitung trotzdem lesen kann.
Eines Tages bekomme ich eine Büchersendung und vom Karton ist ein großes Stück abgebissen. Erst da kommt mir der Gedanke, dass das Tier mir gefährlich werden könnte. Ich setze jetzt immer einen Helm auf, bevor ich den Briefkasten öffne.
Eine neue Rolle Klopapier
Dieses Video ist ein Ausschnitt aus dem Film “Versehen” von Anne Frisius und Sabine de Martin.
Text zum Video: Eine neue Rolle Klopapier.
Wohnungssuche
Der Flur ist nur einen Meter fünfzig hoch, wir müssen gebückt hindurch gehen. Der Herd ist größer als die Küche. Zum Bad geht es über eine Leiter, die auf dem Balkon steht. Das Schlafzimmer ist dreieckig, es wird kein Bett hinein passen. Ich kann es zurecht sägen, denke ich. Und das Wohnzimmer wirkt geräumig. Das Moos an den Wänden lässt sich wahrscheinlich leicht abkratzen. “Ich nehme sie”, sage ich. Du schüttelst sehr langsam den Kopf.
Ich bin so müde vom vielen Suchen … ich lege mich auf den Teppich. Ein senfgelber Teppich voller Flecken, ich bin wahrscheinlich verwandt mit ihm. Zumindest fühle ich mich genauso, gelb und fleckig, und in meinem Gehirn reiht sich Schlaufe an Schlaufe an Schlaufe. Der Makler räuspert sich, ein ungeduldiger junger Mann im Anzug. Er trägt einen goldenen Helm, der spitz zuläuft. Vielleicht geht er manchmal zum Angriff über, rennt mit gesenktem Kopf los und spießt jemanden auf.
Über mir brummt etwas. An der Decke klebt eine Höhle aus Lehm, eine Art Dachs schaut heraus, das Brummen kommt von ihm. Es hört sich nicht direkt drohend an, aber doch unfreundlich.
Straßenbahn
Samstag, halb eins, Glatteis. Gedränge an der Haltestelle. Ich lasse mich mit ins Innere der Straßenbahn schieben, bekomme ein freies Sitzpolster zu fassen und lasse es nicht mehr los, bis ich mich darauf festgeklemmt habe, beschwert durch meine Einkaufstasche voller Gemüse.
Als es soweit ist, dass eine gewisse Gemütlichkeit eintreten könnte — der Zeitraum, in dem die Füße nicht mehr weh tun, und die Hämorrhoiden noch nicht – tritt stattdessen jemand anders ein und sagt: „Fahrscheinkontrolle“. Ich müsste sofort aufspringen und mich zum Automaten drängeln, aber ich bleibe sitzen. Es ist diese erdrückende Sinnlosigkeit.
Alle zeigen ihren Fahrschein, gleichgültig, nebenbei. Wenn man einen hat, ist es keine große Sache. Man macht sich keine Gedanken darüber. Es ist normal, dazu zu gehören, etwas zeigen zu können, einen Beweis: ich gehöre hierher. Mir fehlt dieses grundlegende Gefühl sowieso, deshalb würde es mir nichts nützen, einen Fahrschein zu kaufen. Ich würde mich damit nicht besser fühlen. Das heißt, im Moment schon, jetzt, wo dieser kurz angebundene Kontrolleur vor mir steht und sich über nichts anderes unterhalten will als nur über diesen einen Fahrschein, den ich nicht habe.
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