Jetzt neu: Lattenrost

Die Geschich­te “Lat­ten­rost” gibt es jetzt als Heft.

“Eine bezau­bern­de Geschich­te! Ich konn­te das Heft nicht aus der Hand legen, bis ich auch das letz­te Wort noch gele­sen hat­te. Tau­chen Sie ein in die Welt von “Lat­ten­rost”, und Sie wer­den jeden Sperr­müll­hau­fen mit ver­än­der­ten Augen betrach­ten.“
Aus der Rezen­si­on von Rosa Ligus­ta, bei­nah Lite­ra­tur­preis­trä­ge­rin des Jah­res 2007

Bestel­lun­gen unter Kon­takt oder direkt bei sabindemar@​web.​de
Ein Heft kos­tet 7 Euro
Ab drei Hef­ten 6 Euro pro Heft
Ab fünf Hef­ten 5 Euro pro Heft
Zzgl Ver­sand­kos­ten
Ab zehn Hef­ten versandkostenfrei

Audio der Geschichte:

Lese­pro­be:

Lat­ten­rost

Abends gehe ich ger­ne durch die Stra­ßen spa­zie­ren, und manch­mal sto­ße ich dabei auf einen Sperr­müll­hau­fen. Das Wort Sperr­müll ist geprägt von sei­nen bei­den Dop­pel­kon­so­nan­ten. Ein wider­spens­ti­ges Sperr prallt auf das wei­che, etwas melan­cho­li­sche Müll, das von Abscheu bela­gert ist. Sperr­müll ist im direk­ten Sin­ne des Wor­tes unheim­lich. Das, was im Heim war, soll jetzt weg. Es tritt aber vor­her noch ein­mal groß in Erschei­nung, gehäuft und öffent­lich ausgestellt.

Ich mag Sperr­müll­hau­fen. Ich habe dort schon eini­ge Möbel­stü­cke für mei­ne Woh­nung gefun­den. Jetzt bin ich ganz gut ein­ge­rich­tet, und brau­che nichts mehr. Trotz­dem steue­re ich jeden Sperr­müll­hau­fen vol­ler Vor­freu­de an und betrach­te die Din­ge, deren Schick­sal es ist, am nächs­ten Mor­gen in der Pres­se des Sperr­müll­wa­gens zer­quetscht zu wer­den, wenn sie nicht im Ver­lauf der Nacht doch noch geret­tet werden.

Auch heu­te Abend tref­fe ich auf einen Sperr­müll­hau­fen und bin dabei, mir ver­schie­de­ne Din­ge anzu­gu­cken, als ich durch den Ruf: “Das ist ja wohl die Höhe!” unter­bro­chen wer­de. Ich hebe den Kopf. “Sie, ja, genau Sie mei­ne ich!” Ver­wirrt sehe ich mich um. Aus einem Fens­ter im Erd­ge­schoss lehnt sich ein Mann, offen­sicht­lich verärgert. 

“Hab ich Sie erwischt!”, schreit er. “Wobei? Das ist doch ein Sperr­müll­hau­fen, oder?” “Ja, aber nicht Ihrer!” “Ich will auch gar nichts davon!” Ich schie­be den Lat­ten­rost, den ich mir genau­er anse­hen woll­te, wie­der hin­ter den Schrank, aber jetzt wird der Mann erst rich­tig wütend. Er spuckt meh­re­re Schimpf­wör­ter aus und sei­ne Stim­me über­schlägt sich, sodass ich nichts ver­ste­hen kann. Ich wen­de mich zum Gehen, da schreit er noch lau­ter. “Neh­men Sie das gefäl­ligst wie­der mit!”

“Den Lat­ten­rost? Der stand hier schon.” “Ich zeig Sie an”, schreit er. “Gleich ruf ich die Poli­zei!” Jetzt erscheint eine Frau am Bal­kon vom Haus gegen­über: “Was ist denn hier los?” “Der Lat­ten­rost gehört mir nicht”, erklä­re ich. “Neh­men Sie ihn ruhig mit”, meint die Frau. “Auf dem Sperr­müll ist doch wie weg geworfen.” 

Tod

Filigranes weißes rundes Pflanzengerippe mit Metallrand

Ein son­ni­ger Herbst­tag, ich sit­ze auf einer Bank an der still­ge­leg­ten Bahn­li­nie, zwi­schen einem knor­ri­gen Holun­der und einer Schar Bren­nes­seln, die mich über­ra­gen, und schaue in die blaue Luft. Glöck­chen klin­geln, kom­men näher. Sie hän­gen an einem Rol­la­tor, zusam­men mit Wim­peln in ver­schie­de­nen Far­ben, Blu­men­g­hir­lan­den und einem lee­ren roten Ein­kaufs­netz; im Git­ter­korb drei Hand­ta­schen, rein­ge­knautscht. Die Frau, die den Rol­la­tor schiebt, trägt einen vio­let­ten Stroh­hut. Als sie näher kommt, sehe ich, dass sie weint. Schnell schaue ich weg, aber sie bleibt vor der Bank ste­hen, schluchzt. Ver­le­gen zie­he ich eine Packung Taschen­tü­cher aus mei­ner Fahr­rad­ta­sche, bie­te ihr eines an. Sie nimmt es, schnaubt hin­ein und lässt sich neben mich auf die Bank fal­len: “Kennst du auch jeman­den, der schon tot ist?” Ich zöge­re. “Ja, meh­re­re”, sage ich schließ­lich, und über­le­ge, wie ich aus die­ser Situa­ti­on wie­der raus kom­me.
Die Frau weint wei­ter, ich mus­te­re sie ver­stoh­len. Auf ihrer Blu­se pran­gen Schmet­ter­lin­ge, die Hose hat ein Leo­par­den­mus­ter. Ich stel­le fest, dass ich die Kla­mot­ten mag, mich aber nicht trau­en wür­de, sie anzu­zie­hen, schon gar nicht in Kom­bi­na­ti­on, obwohl ich Schmet­ter­lin­ge mag, und Leo­par­den auch. “Wer ist denn gestor­ben?”, fra­ge ich.
“Micha.” Die Frau neben mir haut mit der Faust auf die Park­bank: “War­um ist das so? Tod und vor­bei. War­um kommt er nicht wie­der?” Ich seuf­ze. Jetzt sit­ze ich hier mit die­sen Todes­fra­gen, auf die es kei­ne Ant­wort gibt. Ich will mich nicht von der Trau­rig­keit anste­cken las­sen, aber es ist schon zu spät. So ein unan­ge­neh­mes Gefühl im Bauch. Gleich fan­ge ich an zu wei­nen. Ich will gehen. Aber das kommt mir gemein vor.
Auf ein­mal sind sie da, ste­hen vor mir, mei­ne Toten, gestor­ben durch Krebs, Sui­zid, Herz­in­farkt, Ertrin­ken. Das War­um? nach jedem Tod. Das Loch in mei­ner See­le. Der Unsinn des Todes. Das Unvor­stell­ba­re, an das man sich letzt­end­lich gewöhnt. Was man ver­gisst. Jeden Tag ver­ges­sen wir unse­re Toten. Und plötz­lich ste­hen sie vor mir, an einem son­ni­gen war­men Tag, her­bei gekom­men mit einem glöck­chen­k­lin­geln­den Rol­la­tor.
“Es war noch nicht fer­tig.” “Was war noch nicht fer­tig?” “Er schul­det mir noch einen Scho­ko­rie­gel, min­des­tens.” Ich kra­me in mei­ner Fahr­rad­ta­sche, hole den Rie­gel aus Milch­scho­ko­la­de her­aus, den ich seit eini­ger Zeit immer bei mir tra­ge: “Für dich.” Sie schaut mich an, ihr Mund zieht sich zu einem Lächeln: “Heißt du auch Micha?” “Nein”, ich schütt­le abweh­rend den Kopf. Als ich ihren ent­täusch­ten Blick sehe, ände­re ich mei­ne Mei­nung: “Du kannst Micha zu mir sagen”, schla­ge ich vor. “Ja? Triffst du dich auch jeden Frei­tag mit mir, um drei am Aldi-Fla­schen­au­to­ma­ten?” Damit habe ich nicht gerechnet.

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