Überlegungen zu Oberflächen
1 Das Wort
Der erste Teil des Wortes lässt mich zunächst vermuten, dass eine Oberfläche immer oben ist. Aber dann fallen mir meine Fußsohlen ein, die meistens unten sind, zumindest vom Kopf aus gesehen. Und der Kopf hat die Definitionsmacht. Er sieht sich selbst gern oben, weshalb er nachts ein Kissen braucht, damit er auch im Schlaf den anderen Körperteilen überlegen ist. Der Kopfstand, der die Verhältnisse umkehrt und die Fußsohlen zu den obersten Oberflächen des Körpers macht, ist hauptsächlich bei Kindern, Artist*innen und Yogapraktizierenden üblich. Diese drei Personengruppen sind allerdings, und vielleicht aus diesem Grund, nur eingeschränkt gesellschaftlich anerkannt.
Die Oberflächen meiner Fußsohlen sind auch nicht flach. Wie kommt also der Begriff “Oberfläche” zustande? Ich komme dem Wort erst auf die Spur, als ich die verschiedenen Aggregatzustände beachte. Bei Gasen wird kaum von einer Oberfläche gesprochen. Im festen Aggregatzustand werden alle Außenflächen als Oberfläche bezeichnet. So ist sowohl die untere als auch die obere Seite der Untertasse eine Oberfläche. Ursprünglich namensgebend waren aber wahrscheinlich die Flüssigkeiten. Denn bei ihnen gilt nur die oberste Schicht, die noch dazu oft flach ist oder das Flachsein anstrebt, als Oberfläche. Die anderen Außenseiten von Flüssigkeiten, wie etwa die seitlichen Wasserflächen eines Aquariums, bleiben namenlos.
2 Verborgene Oberflächen
Die Oberfläche eines Festkörpers wird also durch alle seine Außenflächen gebildet. Wobei sich außen und innen nicht immer so leicht voneinander unterscheiden lassen, wie uns das vielleicht lieb wäre. Zum Beispiel der Darm. Dem Empfinden nach ist er etwas zutiefst Inneres und Intimes, dabei ist der sogenannte Verdauungstrakt, von der Mundhöhle bis zum After, ein Schlauch, durch den Fremdkörper, fremde Körper, die wir Nahrungsmittel nennen, durch uns hindurch befördert werden. Nur das Brauchbare, Verwertbare, wird aufgenommen und einverleibt, alles andere wird abgeführt bzw. ausgeschieden. Ausscheidung ist genau genommen nicht das richtige Wort, da diese Stoffe nie in uns drin waren, sondern immer an der Außenfläche geblieben sind. Das Irritierende ist, dass die Außenwelt, von der wir uns doch deutlich zu unterscheiden glauben, mitten durch uns hindurch führt.
Und die Außenflächen im Inneren des menschlichen Körpers sind riesig. Die Oberfläche des Darms ist mit Zotten bedeckt , die von Zotten bedeckt sind, auf denen Zotten wachsen usw. Würde man den Darm glatt ziehen wie etwa ein zerknittertes Spannbettlaken, so könnte eine 32 Quadratmeter große Matratze damit bezogen werden. Verglichen mit der Haut, die nur ca. 1,7 Quadratmeter aufweist, ist das wahre innere Größe. Insgesamt sind die verborgenen Oberflächen beim Menschen ca. 20 mal größer als die sichtbaren. Eine Zahl, die allerdings sowohl beim Ameisenhaufen als auch bei Hornkieselschwämmen um ein Vielfaches übertroffen wird.