Wortwechsel

Rohrenden, im Cartoon-Modus aufgenommenVor mei­ner Woh­nungs­tür tut sich etwas. Ich höre Stim­men. Da stimmt was nicht. Ich woll­te gera­de ein­kau­fen gehen, hab die Schu­he schon an, die Jacke auch und den Ruck­sack vol­ler lee­rer Fla­schen auf dem Rücken. Jetzt traue ich mich nicht, raus zuge­hen. Ein Blick durch den Spi­on zeigt mir den Nach­barn von oben, Herrn Konf, mit dem Rücken zu mir, im Gespräch mit den neu­en Nach­barn gegen­über, die vori­ge Woche ein­ge­zo­gen sind, und deut­lich klei­ner sind als er.
Mit Frau Zabada­ni habe ich mich schon ein biss­chen unter­hal­ten und zag­haft mein Ara­bisch aus­pro­biert, was auf gro­ße Begeis­te­rung stieß und eine Ein­la­dung zur Fol­ge hat­te. “Komm her­ein, komm.” Mein Kopf­schüt­teln zeig­te wenig Wir­kung. Frau Zabada­ni zog mich in ihre Woh­nung, ließ mich auf dem rie­si­gen Sofa Platz neh­men und stell­te Kaf­fee und Bas­busa, ein süßes Gebäck aus Grieß, vor mich hin. Dann zeig­te sie mir die Bücher von ihrem Deutsch­kurs. A1. Alle Auf­ga­ben auf den ers­ten 20 Sei­ten waren rich­tig aus­ge­füllt. Aber Frau Zabada­ni war nicht zufrieden.
Lakin an-naas la yata­had­dathun kama fi-lki­t­ab!, rief sie aus. “Aber die Leu­te spre­chen nicht so, wie es im Buch steht!” Sie erzähl­te, dass sie beim Ein­kau­fen “Guten Tag” gesagt hat­te, und die Ver­käu­fe­rin ein “Nein!” zur Ant­wort gege­ben hat. “Was war falsch?” Ich über­leg­te. “Wahr­schein­lich sag­te sie nicht ‘Nein’, son­dern ‘Moin’. Das ist hier der Gruß für alle Tages­zei­ten.” “Moin?” “Moin”, bestä­tig­te ich, “oder Moin, Moin.”
Und das ruft sie jetzt, laut und ver­zwei­felt: “Moin! Moin!” Und Herr Konf schüt­telt den Kopf und sagt: “Nein”. Herrn Konf habe ich noch nie besucht, und unser gemein­sa­mer Wort­schatz beschränkt sich auf zehn Wör­ter, wobei wir ‘Guten Tag!’ am häu­figs­ten ver­wen­den. Er sieht auch immer gleich aus, die Kla­mot­ten und das Gesicht ver­än­dern sich kaum, so als ob er eine Sta­tis­ten­rol­le im Trep­pen­haus hät­te, mit der Auf­la­ge, mög­lichst unauf­fäl­lig zu sein. Dabei hat er so einen inter­es­san­ten Namen. Er könn­te der Anfang zu ver­schie­de­nen Wör­tern sein. Nicht nur kon­form, Herr Konf! Ich weiß nicht, ob er Sinn für Sprach­spie­le hat.
Im Moment gibt es wohl einen Kon­flikt. Ich beu­ge mich näher an den Spi­on her­an, um mehr sehen zu kön­nen. Dadurch ver­schie­ben sich die Fla­schen in mei­nem Ruck­sack und scha­ben anein­an­der. Die­ses Geräusch lässt Herrn Konf zu mei­ner Tür bli­cken. Vor­sich­tig wei­che ich zurück, aber es ist zu spät. Er klin­gelt bei mir. Ich erstarre.
Ich ver­flu­che den Ruck­sack auf mei­nem Rücken, der jede mei­ner Bewe­gun­gen mit einem Klir­ren unter­malt. Sonst könn­te ich jetzt wenigs­tens in die Küche gehen und so tun, als hät­te ich nichts gehört. Herr Konf klin­gelt noch ein­mal. Er ruft sogar: “Könn­ten Sie zur Hil­fe kommen!”
Ich bin so über­rascht, dass ich sofort öff­ne. Geball­te Erwar­tun­gen rich­ten sich auf mein Erschei­nen. Mir wird schwin­de­lig. “Ich muss los”, sage ich und weiß schon, dass es kein Ent­kom­men gibt. Ich müss­te Herrn Konf bei­sei­te schie­ben, um zur Trep­pe abwärts durch zu kom­men. Und ich will kei­ne Kon­fron­ta­ti­on mit ihm.
Ich läch­le ihn an. Wie wär’s mit Kon­fi­tü­re? “Sie kön­nen doch Ara­bisch”, sagt er zu mir. Es klingt ankla­gend. Bevor ich mich ver­tei­di­gen kann, nickt Frau Zabada­ni bekräf­ti­gend mit dem Kopf. ““Ja, ja!”, meint sie. “Über­set­zen Sie”, for­dert er mich auf. “Äh … Für das bila­te­ra­le Dol­met­schen”, wen­de ich ein, “muss man meh­re­re Jah­re lang stu­diert haben, und dann ein zwei­jäh­ri­ges Prak­ti­kum absol­vie­ren, bevor .…” “Pap­per­la­papp”, sagt Herr Konf reso­lut, “ein paar Sät­ze wer­den Sie wohl auch so hinkriegen.”
Herr und Frau Zabada­ni sehen mich hoff­nungs­voll an. Das Netz zieht sich zusam­men. Ich hän­ge drin. Und es wird schief gehen. Dann habe ich es mir mit meh­re­ren Nach­barn ver­scherzt. Ich wer­de aus­zie­hen müs­sen. Wo ich doch gera­de erst ein hal­bes Jahr in die­ser schö­nen Woh­nung woh­ne. Ich sehe das alles so klar vor mir und weiß kei­nen Ausweg.
Und da beginnt Herr Konf auch schon: “Die Schu­he …” Cir­ca 10 Paar Schu­he vor der Tür der Zabad­a­nis sind im Trep­pen­haus der ein­zi­ge Hin­weis dar­auf, dass hin­ter den Türen Men­schen leben. Aber schon das kann zu viel sein. Ich spü­re Herrn Kon­fs tie­fes Unbe­ha­gen. Ich spü­re die Besorg­nis der Zabad­a­nis. Sie wis­sen, dass etwas kri­ti­siert wird. Kann gut sein, dass sie die Schu­he sofort weg­räu­men wür­den, um kein Miss­fal­len zu erre­gen. Herr Konf hat mehr Macht und ist es gewohnt, sei­ne Vor­stel­lun­gen durch­zu­set­zen. Ich will ihm aber nicht dabei behilf­lich sein. In der Rol­le der Über­set­ze­rin wer­de ich zu sei­ner Hand­lan­ge­rin und wenn ich ableh­ne, wir­ke ich des­in­ter­es­siert an den Pro­ble­men mei­ner Nachbarn.

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Eifersucht

3 orange Warnlampen auf blauem Sockel in Spannung zueinanderAls ich am Frei­tag­abend nach Hau­se kom­me, sitzt vor mei­ner Woh­nungs­tür eine Kat­ze. Ich blei­be auf der Trep­pe ste­hen und wed­le mit den Hän­den, um das Tier zu ver­scheu­chen. Sie bleibt sit­zen und schaut mich an. Grü­ne Augen.
Ich kling­le beim Nach­barn gegen­über. “Wis­sen Sie, zu wem die­se Kat­ze gehört?”, fra­ge ich ihn, als er öff­net und mich über­rascht ansieht. Ich habe noch nie bei ihm geklin­gelt. “Die ist von unten”, sagt er und deu­tet einen Stock tie­fer. “Die Kat­ze von unten ist rot­haa­rig”, gebe ich zu beden­ken, “und hat sehr lan­ges Fell, wäh­rend die­se hier …”, ich zöge­re, etwas zu beschrei­ben, was er ja selbst sieht, aber viel­leicht sieht er etwas ande­res als ich, “wäh­rend die­se hier schwarz und kurz­haa­rig ist.”
Der Nach­bar zuckt mit den Ach­seln, als wären Fri­su­ren und Haar­far­ben kei­ne nen­nens­wer­ten Kri­te­ri­en. Er selbst hat auch nichts der­glei­chen auf dem Kopf. “Und jetzt?”, fra­ge ich ihn, in der Hoff­nung, dass er sich zustän­dig fühlt. “Was machen wir mit der Kat­ze?” Ich ver­knei­fe es mir, zu erwäh­nen, dass sie sich schließ­lich mit sei­ner Glat­ze reimt. Er zieht die Stirn in Fal­ten und sieht die Kat­ze, die ihre Kral­len an mei­nem Tür­vor­le­ger schärft, nach­denk­lich an. “Ich bin gegen Tier­leid”, sagt er dann und ver­schwin­det mit einem knap­pen “Guten Abend”.
Ich star­re die geschlos­se­ne Tür an. Ich bin auch gegen Tier­leid. Aber, was bedeu­tet das in die­sem kon­kre­ten Fall? Weil mir nichts ande­res ein­fällt, schlie­ße ich mei­ne Tür auf. Ganz selbst­ver­ständ­lich kommt die Kat­ze mit rein. “Ich hab aber nichts zu essen für dich”, sage ich. Sie schnurrt und fin­det den Weg in die Küche alleine.
Wenig spä­ter bin ich auf dem Weg zum Super­markt. Ich ver­wei­le in der Haus­tier­ab­tei­lung, die ich bis jetzt immer mit einem über­le­ge­nen Lächeln gemie­den habe. Das Ange­bot an Kat­zen­fut­ter ist über­wäl­ti­gend. Zum Glück weiß ich, seit einer Affä­re mit einer Super­markt­ver­käu­fe­rin, dass die bil­ligs­ten Pro­duk­te immer ganz unten stehen.
Zu Hau­se brei­te ich Zei­tungs­pa­pier auf dem Boden aus und stel­le die geöff­ne­te Dose dar­auf. Die Kat­ze schnup­pert, kos­tet, rümpft die Nase, schüt­telt die Pfo­te und miaut so ankla­gend, dass ich ein schlech­tes Gewis­sen bekom­me. So bil­li­ges Fut­ter ist bestimmt min­der­wer­tig und ent­hält schäd­li­che Zusatz­stof­fe. Gut, dass ich die Schu­he noch nicht aus­ge­zo­gen habe.
Als ich spä­ter erschöpft und hung­rig auf dem Sofa sit­ze und dar­über nach­den­ke, wie ich die­ses Tier am schnells­ten wie­der los wer­de, kommt sie zu mir und schmiegt sich an mich. Mein Herz wird weich. Ich esse ja auch nicht alles. Ich streich­le die Kat­ze und bemer­ke einen klei­nen wei­ßen Halb­mond auf ihrer Brust. Selí­na, sage ich zu ihr, vom grie­chi­schen σελήνη für Mond, und sie sieht mich an, als ob ich ihren Namen erra­ten hätte.
“Brau­chen wir nur noch einen Schlaf­platz für dich”, sage ich spä­ter zu ihr und wun­de­re mich schon gar nicht mehr dar­über, dass ich mit einer Kat­ze spre­che. Selí­na löst die­ses Pro­blem ohne viel Feder­le­sens, indem sie es sich in mei­nem Bett bequem macht. “Ein Feh­ler”, sagt Fio­na, als ich ihr am nächs­ten Tag davon erzäh­le. “Du musst ihr Gren­zen zei­gen. Und du darfst dich nicht an sie gewöh­nen. Wer weiß, wo sie hin gehört.”
Aber Seli­na bleibt das gan­ze Wochen­en­de. Am Mon­tag besor­ge ich eine Kat­zen­lei­ter für den Bal­kon und reak­ti­vie­re die Kat­zen­klap­pe in der Bal­kon­tür, die die Vor­mie­te­rin ange­bracht hat. “Pro­bier mal”, sage ich, und Selí­na läuft ele­gant die Lei­ter hin­un­ter, fin­det flugs ein Loch im Gar­ten­zaun und ver­schwin­det zwi­schen den Buchs­baum­bü­schen des Nachbargartens.
Fio­na ruft an: “Viel­leicht sind die Leu­te, bei denen sie gewohnt hat, umge­zo­gen. Kat­zen lau­fen oft zum alten Haus zurück und sind dann ver­wirrt, weil sie nicht mehr rein kom­men. Du musst Zet­tel auf­hän­gen: “Kat­ze zuge­lau­fen.” Sie kommt sogar vor­bei und hilft mir, den Text zu ver­fas­sen und mei­ne Tele­fon­num­mer mehr­mals quer dazu zu plat­zie­ren. Nach dem Aus­dru­cken tren­nen wir die Num­mern mit der Sche­re von­ein­an­der, sodass sie ein­zeln abge­ris­sen wer­den kön­nen. Die Sche­ren­schnit­te gehen mir ans Herz.
Gemein­sam fah­ren wir durch die Stra­ßen und kle­ben den Hin­weis auf Ampel­stan­gen und Stra­ßen­la­ter­nen. Mit jedem gekleb­ten Zet­tel wer­de ich trüb­sin­ni­ger, wäh­rend Fio­na am Ende sehr zufrie­den ist. “Jetzt hast du alles getan, um die recht­mä­ßi­gen Besitzer*innen zu informieren.”
“Ich fin­de es unmo­ra­lisch”, kei­fe ich sie an, “bei einer Kat­ze von recht­mä­ßi­gen Besitzer*innen zu spre­chen.” “Was ist denn in dich gefah­ren?”, fragt sie mich erstaunt. “Ich bin gegen Tier­leid”, wer­fe ich ihr an den Kopf und rad­le davon. Zu Hau­se tut es mir Leid, ich schi­cke ihr eine ver­söhn­li­che Tele­gram-Nach­richt. Sie geht sofort dar­auf ein — ach, lie­be Fio­na-Freun­din, den­ke ich — und wünscht mir eine gute Nacht.
Ich habe aber kei­ne. Ich kann nicht schla­fen. Selí­na ist nicht zurück gekehrt und ich stel­le mir vor, wie sie durch die Stra­ßen läuft, und über­all die­se Zet­tel sieht, mit denen ich sie los­wer­den möchte.

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