Das Glück

Zwei schneckenförmige Büroklammern auf einer Plastik-Blumenwiesen-Tasche

Rede zur gol­de­nen Hoch­zeit von Korin­na und Rudi
Vie­les ist bereits über das Glück gesagt und geschrie­ben wor­den, in die­ser Rede wird ein Aspekt von Glück behan­delt, der mei­nes Wis­sens noch nie vor­ge­kom­men ist: die Tat­sa­che, dass das Wort Glück aus einem Vokal und vier Kon­so­nan­ten besteht. In die­ser Rede kom­men also ca. 200 Wör­tern der Kom­bi­na­ti­on: ein Vokal und vier Kon­so­nan­ten vor.

Das Glück

Da grast ein Schaf. Flugs guckt ein Luchs, es sucht ein Fuchs den Trick, der rasch ihm hilft bei Zwist. Dunst trübt die Sicht, er stößt gegen den Pfahl am Pfuhl, der wankt und ach! Krach und Knall, und Prinz von Protz fällt flott vom Thron, und Papst und Schah ken­nen das schon. Zum Trost gibt’s Sterz, der Speck ist weg, frech lacht ein Wicht und sonnt den Wanst, der wölbt sich mehr als sonst.
Jetzt erst recht mit Macht in den Kampf um die Wurst auf dem Grill, Fritz, Frank und Franz, alle trans, mit neu­er Brust, zu dritt auf einen Drink in Brühl, die gan­ze Stadt kommt aus dem Trott bei die­sem Trupp, auch ein Horst beim Sport im Forst spürt den Drang zum Bruch mit Drill und Zwang, mit Angst und Scham und schließt dem Treff sich an. Prost!
Ein Dachs in der Pfalz ist krank mit Mumps, er hat allen Grund zum Groll und putzt mit Frust grumm grumm den Fleck von sei­ner Jacht aus Stahl. Sein Brast hallt durch die Werft, der Zwirn hält’s nicht mehr aus, er lässt den Knopf, der rollt vom Shirt und fällt durch einen Spalt — plumps in den Fluss. Das ist dem Hecht nicht recht, der Knopf ist ihm zu krumm, drum.
Bei Frost hilft ein Schal, und bei Frust — wer das wüsst! Der Phlox blüht alle­mal, aus kei­nem Grund, doch der Molch rühmt den Mulch, in dem er wohnt wie der Lachs im Fjord, der sich sehnt nach einem Flirt und wacht die gan­ze Nacht und hofft. Mit die­sem Strom in sei­ner Brust küsst er einen Klotz in der Kluft, der dann vor Stolz glänzt wie Chrom, die gan­ze Bucht wärmt sich daran.

Auf dem Markt leckt ein Fratz am Tropf und stillt den Durst und ein Spatz hüpft auf den Stand und pickt ins Brot. Da dankt das Pfund dem Gramm ohne dass es nicht wüsst, wie­viel es nun misst, so still wie es ist. Und wer tanzt den Twist? Der Zwerg mit dem Troll, auf dem Brett überm Sumpf und ein Stern glüht von fern.
Mit Dampf auf zur Fahrt in die Stadt, allein es fehlt der Sprit, ein Tritt gegen das Blech hilft nicht beim Start, ach, immer die­ser Zwang zum Zweck, aus die Schuh und auf den Stuhl und auf dem Tisch ein Blatt vom Block, schon drängt es aus der Stirn und lockt, der Stift fährt ohne Punkt und Stopp. Rings und links wirkt Schub und Wuchs, Wachs tropft auf den Frack, ein Stück vom Stuck fällt in den Kelch mit Milch, egal. Die Gunst der Stund birgt Stern und Sturm. Ein Pferd ist im Trend und Klang mit Wucht und Spott und Charme, licht wird der Blick und mit der Kunst kommt auch das Glück. Macht ihm Platz und rückt ein Stück!

Die Oberfläche der Untertasse

Dunkle Wasserstreifen auf heller Baumrinde mit Rillen

Über­le­gun­gen zu Oberflächen

1 Das Wort

Der ers­te Teil des Wor­tes lässt mich zunächst ver­mu­ten, dass eine Ober­flä­che immer oben ist. Aber dann fal­len mir mei­ne Fuß­soh­len ein, die meis­tens unten sind, zumin­dest vom Kopf aus gese­hen. Und der Kopf hat die Defi­ni­ti­ons­macht. Er sieht sich selbst gern oben, wes­halb er nachts ein Kis­sen braucht, damit er auch im Schlaf den ande­ren Kör­per­tei­len über­le­gen ist. Der Kopf­stand, der die Ver­hält­nis­se umkehrt und die Fuß­soh­len zu den obers­ten Ober­flä­chen des Kör­pers macht, ist haupt­säch­lich bei Kin­dern, Artist*innen und Yoga­prak­ti­zie­ren­den üblich. Die­se drei Per­so­nen­grup­pen sind aller­dings, und viel­leicht aus die­sem Grund, nur ein­ge­schränkt gesell­schaft­lich aner­kannt.
Die Ober­flä­chen mei­ner Fuß­soh­len sind auch nicht flach. Wie kommt also der Begriff “Ober­flä­che” zustan­de? Ich kom­me dem Wort erst auf die Spur, als ich die ver­schie­de­nen Aggre­gat­zu­stän­de beach­te. Bei Gasen wird kaum von einer Ober­flä­che gespro­chen. Im fes­ten Aggre­gat­zu­stand wer­den alle Außen­flä­chen als Ober­flä­che bezeich­net. So ist sowohl die unte­re als auch die obe­re Sei­te der Unter­tas­se eine Ober­flä­che. Ursprüng­lich namens­ge­bend waren aber wahr­schein­lich die Flüs­sig­kei­ten. Denn bei ihnen gilt nur die obers­te Schicht, die noch dazu oft flach ist oder das Flach­sein anstrebt, als Ober­flä­che. Die ande­ren Außen­sei­ten von Flüs­sig­kei­ten, wie etwa die seit­li­chen Was­ser­flä­chen eines Aqua­ri­ums, blei­ben namenlos.

2 Ver­bor­ge­ne Ober­flä­chen
Die Ober­flä­che eines Fest­kör­pers wird also durch alle sei­ne Außen­flä­chen gebil­det. Wobei sich außen und innen nicht immer so leicht von­ein­an­der unter­schei­den las­sen, wie uns das viel­leicht lieb wäre. Zum Bei­spiel der Darm. Dem Emp­fin­den nach ist er etwas zutiefst Inne­res und Inti­mes, dabei ist der soge­nann­te Ver­dau­ungs­trakt, von der Mund­höh­le bis zum After, ein Schlauch, durch den Fremd­kör­per, frem­de Kör­per, die wir Nah­rungs­mit­tel nen­nen, durch uns hin­durch beför­dert wer­den. Nur das Brauch­ba­re, Ver­wert­ba­re, wird auf­ge­nom­men und ein­ver­leibt, alles ande­re wird abge­führt bzw. aus­ge­schie­den. Aus­schei­dung ist genau genom­men nicht das rich­ti­ge Wort, da die­se Stof­fe nie in uns drin waren, son­dern immer an der Außen­flä­che geblie­ben sind. Das Irri­tie­ren­de ist, dass die Außen­welt, von der wir uns doch deut­lich zu unter­schei­den glau­ben, mit­ten durch uns hin­durch führt.
Und die Außen­flä­chen im Inne­ren des mensch­li­chen Kör­pers sind rie­sig. Die Ober­flä­che des Darms ist mit Zot­ten bedeckt , die von Zot­ten bedeckt sind, auf denen Zot­ten wach­sen usw. Wür­de man den Darm glatt zie­hen wie etwa ein zer­knit­ter­tes Spann­bett­la­ken, so könn­te eine 32 Qua­drat­me­ter gro­ße Matrat­ze damit bezo­gen wer­den. Ver­gli­chen mit der Haut, die nur ca. 1,7 Qua­drat­me­ter auf­weist, ist das wah­re inne­re Grö­ße. Ins­ge­samt sind die ver­bor­ge­nen Ober­flä­chen beim Men­schen ca. 20 mal grö­ßer als die sicht­ba­ren. Eine Zahl, die aller­dings sowohl beim Amei­sen­hau­fen als auch bei Horn­kie­sel­schwäm­men um ein Viel­fa­ches über­trof­fen wird.

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Gibt es Alltag?

Abtropfgitterstäbe, von Kabeln durchkreuzt

All­täg­li­che Hand­lun­gen und die, für die sie nicht zum All­tag gehö­ren (Auf­zäh­lung unvoll­stän­dig):
1. Auf­wa­chen
Leu­te im Koma; Zom­bies
2. Auf­ste­hen
Bein­lo­se; Bett­läg­ri­ge; Pro­me­theus und sei­ne Schick­sals
genoss*innen in Fol­ter­ge­fäng­nis­sen und Psych­ia­trien; Leu­te, die zum Auf­ste­hen Hil­fe brau­chen, an Tagen, an denen sie die­se Hil­fe nicht bekom­men
3. Anzie­hen (bzw. das Nacht­ge­wand aus­zie­hen und etwas ande­res anzie­hen)
Alle, die ihre Klei­dung län­ger als einen Tag tra­gen, weil sie ent­we­der nichts zum Wech­seln haben, nicht die Unter­stüt­zung bekom­men, die sie bräuch­ten oder ihr Inter­es­se oder die Moti­va­ti­on, etwas ande­res anzu­zie­hen, zu gering sind
4. Sich waschen
Wer kei­nen Zugang zu Was­ser oder ande­ren rei­ni­gen­den Sub­stan­zen wie Sand hat, (zum Bei­spiel in Lagern und auf Kran­ken­haus-Sta­tio­nen, die unter­be­setzt sind); wer kei­ne Lust zum Waschen hat; kei­ne Not­wen­dig­keit sieht bzw. riecht; kei­ne Zeit dafür hat
5. Früh­stü­cken
Die Men­schen, die nicht früh­stü­cken kön­nen, weil sie nichts zum Früh­stü­cken haben oder weil ihnen nie­mand beim Früh­stü­cken hilft; die, die nicht früh­stü­cken wol­len; die, die das Kon­zept “Früh­stück” nicht ken­nen
All­tag ist etwas Per­sön­li­ches. Wer “All­tag” und “all­täg­lich” für meh­re­re, vie­le, eine unüber­schau­ba­re Men­ge an Men­schen sagt oder schreibt, ver­all­ge­mei­nert unzu­läs­sig.
Im eige­nen Leben ist All­tag das, was immer gleich bleibt, alle Tage. Doch jeden Tag ist etwas anders: zum Bei­spiel Tem­pe­ra­tur, Licht, Luft­feuch­tig­keit, Mond­pha­se, Mens­trua­ti­ons­pha­se, Gerü­che, Gefüh­le, Gedan­ken, Blut­druck, Haut­wi­der­stand, Haar­län­ge, Magen­in­halt, Inhalt des Kühl­schranks, Inhalt des Müll­ei­mers. Und lau­fend ver­än­dert sich alles, mit unter­schied­li­chen Geschwin­dig­kei­ten.
Wer dem All­tag ent­flie­hen möch­te, hat unend­lich vie­le Mög­lich­kei­ten dazu; denn All­tag gibt es nur in dem Augen­blick, in dem er erschaf­fen wird, von einem Sein, das das eige­ne Tun als all­täg­lich empfindet.